Ein Fall für Kay Scarpetta
Büchermenschen?" Ich sah Lucy an. Sie beobachtete mich, ihr Gesicht war von Angst erfüllt.
"Ich weiß es nicht. Sie nannte ihn einen Illustrator, ich nehme an, er malt die Bilder für ihre Bücher. Er war vor ein paar Tagen in Miami wegen irgendeiner Tagung und traf sich mit Dorothy, um über ihr aktuelles Projekt zu reden oder etwas in der Richtung. Frag mich nicht. Sein Name ist Jacob Blank. Ein Jude, das weiß ich einfach. Obwohl Dorothy es mir sicher nicht sagen könnte. Warum, zum Teufel, sollte sie ihrer Mutter sagen, daß sie einen Juden heiratet, den ich nie gesehen habe, der doppelt so alt ist wie sie und der Kinderbilder malt?"
Ich hatte nichts gefragt.
Lucy mitten in eine weitere Familienkrise nach Hause zu schicken, das war undenkbar. Die Trennungen von ihrer Mutter waren schon öfter verlängert worden, immer wenn Dorothy aus der Stadt mußte wegen irgendeines Verlagstermins oder einer Forschungsreise oder eines ihrer zahlreichen "Buchgespräche", die sie immer länger aufhielten, als irgend jemand vermutet hätte. Lucy blieb bei ihrer Großmutter, bis die reisende Schriftstellerin schließlich wieder nach Hause kam. Vielleicht hatten wir gelernt, diese eklatante Verantwortungslosigkeit zu akzeptieren. Vielleicht hatte sogar Lucy es getan. Aber durchbrennen? Großer Gott.
"Sie hat nicht gesagt, wann sie zurückkommen würde?" Ich drehte mich von Lucy weg und senkte meine Stimme.
"Was?" fragte meine Mutte r laut. "Mir so etwas sagen? Warum sollte sie das ihrer Mutter sagen? Oh! Wie konnte sie so etwas noch einmal tun, Kay! Er ist doppelt so alt wie sie! Armando war doppelt so alt, und schau, was mit ihm passiert ist! Er fällt am Swimmingpool tot um, noch bevor Lucy alt genug ist, Fahrrad zu fahren ... "
Es brauchte eine Weile, bis ich sie wieder beruhigt hatte. Als ich aufgelegt hatte, blieb ich mit den Konsequenzen zurück. Ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Neuigkeiten mitteilen sollte.
"Deine Mutter ist für eine Weile weggefahren, Lucy. Sie hat Mr. Blank geheiratet, der die Bilder für ihre Bücher malt... "
Lucy stand starr da wie eine Statue. Ich streckte die Arme aus, um sie zu mir zu ziehen.
"Sie sind im Moment in Nevada -"
Der Stuhl kippte zurück und schlug gegen die Wand, als sie sich von mir losriß und in ihr Zimmer floh.
Wie konnte meine Schwester Lucy das antun? Ich war sicher, daß ich ihr das nicht verzeihen würde, dieses Mal nicht. Es war schlimm genug, als sie Armando geheiratet hatte. Sie war kaum achtzehn Jahre alt gewesen. Wir warnten sie. Wir taten alles, um es ihr auszureden. Er sprach kaum Englisch, war alt genug, um ihr Vater zu sein, und wir hatten ein ungutes Gefühl, was sein Vermögen betraf, der Mercedes, die goldene Rolex und das vornehme Appartement direkt am Ufer. Wie viele Leute, die auf mysteriöse Weise in Miami auftauchen, genoß er einen teuren Lebensstil, der nicht logisch zu erklären war.
Ich verfluchte Dorothy. Sie wußte von meiner Arbeit, wußte, wie anstrengend und erbarmungslos sie war. Sie wußte, daß ich gezögert hatte, Lucy jetzt zu mir kommen zu lassen, wegen dieser Mordfälle! Aber es war wohl geplant gewesen, und Dorothy beschwatzte und überzeugte m ich mit ihrem ganzen Charme.
"Wenn es dir zuviel wird, Kay, dann kannst du sie jederzeit zurückschicken, und wir machen einen neuen Termin aus", hatte sie einschmeichelnd gesagt. " Wirklich. Sie freut sich so wahnsinnig darauf. Sie spricht von nichts anderem mehr. Sie vergöttert dich einfach. Eine echte Heldenverehrung, wenn ich jemals eine gesehen habe."
Lucy saß steif auf ihrem Bettende und starrte auf den Boden. "Ich hoffe, sie kommen bei einem Flugzeugabsturz um", war alles, was sie sagte, als ich ihr in den Schlafanzug half.
"Das meinst du nicht ernst, Lucy." Ich zog das mit Gänseblümchen gesprenkelte Leintuch unter ihrer Wange glatt. "Du kannst eine Weile bei mir bleiben. Das wird nett, meinst du nicht?"
Sie preßte ihre Augen zu und drehte ihr Gesicht zur Wand. Meine Zunge fühlte sich dick und langsam an. Es gab keine Worte, die ihren Schmerz lindern konnten, also saß ich da und schaute sie eine Weile hilflos an. Zögernd rutschte ich näher zu ihr hin und begann ihren Rücken zu streicheln. Langsam schien ihr Elend zu weichen und schließlich fing sie an, tief zu atmen, die gleichmäßigen Atemzüge des Schlafes. Ich küßte sie und schloß leise die Tür.
Unterwegs in die Küche hörte ich Bill hereinfahren. Ich erreichte die Tür, bevor er klingeln konnte. "Lucy
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