Ein Fall von Liebe
Jungen lungerten in dem dunklen Flur herum. Beide wirkten recht billig, wie Charlie fand, und konnten kaum ernsthafte Rivalen für ihn sein. Er ging an ihnen vorüber, merkte, daß sie ihn genau musterten, und sagte dann zu einem alten Mann in Hemdsärmeln, der in einer Art Käfig saß:
»Meyer Rapper, bitte.«
Der alte Mann blickte ihn an. »Ach ja. Sie sind für die Rolle des Johnny vorgesehen«, sagte er, ohne ihn nach seinem Namen zu fragen. Er nahm ein Manuskript von einem Stapel, schlug es an einer markierten Seite auf und reichte es ihm. »Sie werden Sie rufen, wenn sie Sie brauchen.«
»Danke.« Charlies Blicke glitten die Seite hinunter bis zu der Regieanweisung: ›J OHNNY TRITT AUF‹. Er stand neben dem Käfig und las. Die Szene ging über drei Seiten bis zu J OHNNY GEHT AB‹. Es war anscheinend eine Liebesszene zwischen einem jugendlichen Paar, die komisch wirken sollte. Charlie, der in der Schule daran gewöhnt war, große Rollen wie Hamlet zu spielen, konnte in dem farblosen Dialog nichts entdecken, das auf den Charakter dieses Johnny hinwies. Er las die Szene mehrmals. Das Mädchen hatte ein paar hübsche Stellen in ihrem Text. Aber Johnny blieb ein völliges Nichts. Er spürte ein seltsames Kribbeln in den Beinen, und seine Hände waren feucht. Was sollte er daraus machen? Er blätterte in dem Manuskript, suchte nach weiteren Auftritten Johnnys, aber er tauchte nicht wieder auf. So las er die angegebene Szene noch einmal und versuchte seine Stimme zu hören, während er die Worte sprach. Er fand, daß der Text besser wirkte, wenn er gesprochen wurde und sich ganz natürlich dem des Mädchens anpaßte. Sein Optimismus kehrte wieder. Es könnte eine nette kleine Szene werden. Er mußte ihn ein wenig tölpelhaft spielen. Schwieriger war die Stelle, wo das Mädchen lachte. Er hörte schon im Geist den Beifall, den man ihm spendete, als eine Stimme in fragendem Ton sagte: »Charles Mills?«
Er klappte das Manuskript zu und sah einen Mann in einem zerknitterten Pullover in einer Tür stehen. Er ging auf ihn zu. »Ja«, sagte er.
Der Mann musterte ihn ohne Interesse. »Sie sind Mills? Kommen Sie mit.« Er drehte sich um, und Charlie folgte ihm in die dunklen Kulissen und auf die Bühne hinaus. Eine einzige elektrische Birne hing in der Mitte, und in ihrem Schein sah man die Umrisse eines Wohnzimmers. Charlie war daran gewöhnt, auf eine Bühne hinauszugehen. Er bewegte sich gewandt und selbstsicher. Es war, als wäre er wieder in Princeton. Nur dies war eben der Broadway. Hier wurden die großen Hits und die großen Stars geboren. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter, und seine Beine begannen zu zittern. Der Mann im Pullover blieb stehen und wandte sich ihm mit einem offenen Textbuch in der Hand zu.
»Seite 46. Haben Sie sie schon durchgelesen?«
»Ja. Können Sie mir sagen, was für ein Mensch dieser Johnny ist?« Ihre Stimmen klangen in dem leeren Theater wie die von Verschwörern. Charlie sah zwei Gestalten im Parkett sitzen. Er war darauf bedacht, nicht zu ihnen hinzublicken. Seine Beine zitterten nicht mehr. Er wünschte, er hätte zwei Schnäpse getrunken.
»Wir suchen den passenden Typ«, sagte der Mann im Pullover. »Lesen Sie den Text so, wie es kommt. Bereit?«
»Ja, ich glaube.« Er schlug die Seite auf und merkte zu seiner Freude, daß seine Hände kaum zitterten. Die erste Zeile gehörte zu seinem Text, und er las sie. Er konnte seine eigene Stimme nicht hören. Ein Stichwort wurde ihm zugerufen und er las weiter.
Alles, was er sich ausgedacht, um aus der Rolle etwas zu machen, war vergessen. Es gab keine Möglichkeit, sich zu bewegen. Der Text des Mädchens wurde monoton gemurmelt. Als er fast ans Ende der zweiten Seite gelangt war, rief eine Stimme: »Gut. Das genügt.« Ihm wurde schwach in den Beinen, und er ließ seine Hände herunterfallen und blickte in den dunklen Zuschauerraum und dann auf den Mann im Pullover. Der nickte zu den Kulissen hin. Charlie drehte sich um und begann langsam die Bühne zu verlassen. Er überlegte, ob er nach Mr. Rapper fragen, erklären solle, daß er Charles Mills sei und daß Hank Forbes ihn geschickt habe. Er bemerkte Bewegung im Zuschauerraum, blickte dorthin und sah einen Mann den Gang herunterkommen. Charlie zögerte, und dann sah er, wer es war, und blieb stehen. Der Mann kam an die Brüstung des Orchesterraums, lehnte sich daran und blickte mit einem sehr charmanten Lächeln zu Charlie hinauf. »Ich bin Meyer Rapper«, erklärte er
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