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Ein Fall zu viel

Ein Fall zu viel

Titel: Ein Fall zu viel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Scharenberg
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auch noch den Abend vermiesen?«
    »Wenn du kein Verständnis für meinen Beruf aufbringst, ist das dein Problem«, erwiderte Marianne in ruhigem Ton. Nur die hektischen roten Flecken auf ihren Wangen verrieten, dass sie sich mit Mühe unter Kontrolle halten musste.
    »Ich denke, du arbeitest in einer Boutique auf dem Sonnenwall. Kannst du mir bitte erklären, aus welchem Grund du auf Geschäftsreise gehst?«
    Inzwischen hatte Marianne die unterste Treppenstufe erreicht und stand ihm mehr oder weniger auf Augenhöhe gegenüber. »Meine Chefin hat sich den Fuß verstaucht. Deshalb hat sie mich gebeten, für sie nach Mailand zur Modemesse zu fliegen.«
    »Und das erfahre ich jetzt so ganz nebenbei«, erwiderte Pielkötter mit hochrotem Kopf. »Dafür muss ich quasi erst über meinen Koffer stolpern, den du dir gepackt hast?«
    »Wann hätte ich dich denn informieren sollen? Du warst doch nicht zu erreichen. Ich habe es mehrmals in deinem Büro versucht und natürlich auf deinem privaten Handy.«
    Leider musste er sich eingestehen, dass er nach der Besprechung so aufgewühlt gewesen war, dass er nicht daran gedacht hatte, es wieder einzuschalten. Um genau zu sein, hatte er das bis jetzt vergessen. »Und wenn du mich wirklich erreicht hättest?«, fragte er mit einer Stimme, die sich zu überschlagen drohte. »Was dann? Hättest du mich vor vollendete Tatsachen gestellt? Oder hätte ich dir die Reise ausreden können?«
    »Ausreden? Das ist jetzt nicht dein Ernst«, entgegnete sie ruhig, nur ihre Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen. »Du begreifst doch nichts, absolut nichts. Soll ich mir diese Chance wirklich entgehen lassen, nur weil du es nicht gewöhnt bist, dass deine Frau eigene Interessen hat und sich nicht mehr ausschließlich um das Wohl des Herrn Gemahls kümmert?«
    Ehe er etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und ging die Treppenstufen wieder nach oben. Für einen Moment überlegte er, ihr zu folgen, aber er kannte sie und auch sich gut genug um zu wissen, dass eine Versöhnung an diesem Abend unmöglich war.
    Regungslos stand er noch einige Sekunden im Zimmer, den Blick weiter nach oben gerichtet. Das Blut pulsierte in seinen Schläfen. Mit einem Mal wandte er sich ab, lief zum Schrank und holte aus einem Fach eine halb volle Flasche heraus. Wie konnte man Wodka nur in einem warmen Raum lagern? Immer wenn er sich einmal einen einschenken wollte, war er nicht kalt. Ein Liedfragment geisterte durch seinen Kopf: »Nie bist du da, wenn ich dich am nötigsten brauch.« Galt das jetzt eher für den Alkohol oder für Marianne? Unwillig schob er diese Frage beiseite und starrte auf die Flasche. Schließlich ergriff er ein Schnapsglas und schüttete sich randvoll ein. Das nicht gerade wohlschmeckende Gesöff brannte seine Kehle hinunter. Pielkötter verzog das Gesicht. Der Wodka war eindeutig zu warm. Missmutig nahm er ein Saftglas aus dem Schrank und kippte den Rest hinein. Anschließend besorgte er sich Eiswürfel aus der Küche.
    Mit einem Seufzer setzte er sich in seinen Fernsehsessel. Wann würde dieser zersetzende Kampf an verschiedenen Fronten endlich enden? Und gab es danach wirklich einen Gewinner? Manchmal hatte er das Gefühl, er könnte die Doppelbelastung mit dem Stress zu Hause und im Beruf nicht länger aushalten. Gerade jetzt, wo er nicht mehr den Elan eines Jugendlichen besaß, der Wunsch nach Ruhepausen häufiger wurde, bereitete ihm Marianne zusätzliche Schwierigkeiten. Dabei hatte sie ihn vorher immer in vorbildlicher Weise unterstützt. Fairerweise musste er zugeben, dass er ihr mit seiner konservativen, vielleicht auch eigensinnigen Haltung zum Teil Unrecht tat. Womöglich hatte sie ihm zuliebe lange beruflich zurückgesteckt.
    Pielkötter ergriff das Glas und stürzte den Wodka hinunter. Kalt, aber verwässert, fand er und schnitt eine Grimasse.
    Unwillkürlich kam ihm die Besprechung in den Sinn. Sicher wäre der Streit heute Abend ohne den unterschwellig fortdauernden Ärger über seinen Vorgesetzten in etwas abgemilderter Weise verlaufen. Erneut stieg ungeheure Wut in ihm hoch. Okay, heutzutage waren die öffentlichen Gelder knapp, alle mussten sparen, aber eine Umstrukturierung aus genau diesem Grund obendrein als Verbesserung zu verkaufen, grenzte an Unverschämtheit. Pielkötter sprang auf und knallte das leere Glas auf den Tisch. Ohne die Tischdecke als Puffer wäre es wohl zersprungen. »Pah, Umorganisation«, stieß er wütend aus. Sparmaßnahmen auf Kosten der

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