Ein Fall zu viel
Mitarbeiter waren das, nichts sonst. Praktiker an der Front hatten die Probleme, die dadurch entstehen würden, längst erkannt.
Erneut kehrten seine Gedanken zu Marianne zurück. Er wusste nicht einmal, wie viele Tage sie in Mailand bleiben würde. Morgen früh wollte er sie danach fragen und versuchen, ganz sachlich zu bleiben. Blieb nur zu hoffen, dass sie nicht so früh zum Flughafen müsste, dass er sie gar nicht mehr sehen würde.
18. Kapitel
Missmutig starrte Christiane Altenkämper auf das Gläschen mit glasklaren Tropfen in ihrer Hand, dann führte sie es zum Mund und schluckte das Medikament in einem Mal hinunter.
»Arthrose, in meinem Alter«, sprach sie zu sich selbst. Ihre Stimme klang verächtlich.
Leider war die Krankheit nicht ihr einziges Problem. Rund um ihre wässrig blauen Augen und in der hohen Stirn hatten sich viele Sorgenfalten eingegraben die sie älter erscheinen ließen als zweiundvierzig. Die Figur mit der schlanken Taille und den kleinen, festen Brüsten wirkte dagegen noch beinahe mädchenhaft.
Seufzend verließ Christiane Altenkämper die Küche. Sie durchquerte eine fast quadratische, verhältnismäßig große Diele und ließ sich in einem Wohnzimmer mit antiken Möbeln auf einem bunt gemusterten Sofa nieder. Das ganze Ambiente war nicht nach ihrem Geschmack, aber nach dem Auszug ihres zukünftigen Exgatten hatte sie noch keine Zeit gefunden, die Einrichtung zu erneuern. Zudem wusste sie nicht einmal, ob sie wirklich allein in dem Haus wohnen bleiben sollte. Sicher, sie hatte immer gern in diesem Viertel in Neudorf mit seinen restaurierten Jugendstilhäusern gelebt. Die Seitenstraßen wurden kaum durch Autoverkehr belästigt. Hier wohnten die Anwohner ruhig, inmitten schön gestalteter Gärten und trotzdem citynah. Allerdings hatte sich ihre private Situation leider dramatisch verändert.
Christiane Altenkämper schielte zur Likörflasche auf dem niedrigen Couchtisch. Zu gern hätte sie sich jetzt ein Gläschen gegönnt. Einen kurzen Moment dachte sie an das Medikament, schließlich jedoch schob sie alle Bedenken beiseite und goss etwas von der kirschroten Flüssigkeit in ein Glas, das direkt neben der Flasche stand und wie eine stumme Aufforderung wirkte. Zuerst nippte sie, dann leerte sie es in einem Zug. Während der Alkohol angenehm ihre Kehle hinunterbrannte, verspürte sie eine wohlige Wärme. Den Likör hatte ihr die Schwiegermutter geschenkt, als sie noch nichts von der Trennung wusste. Christiane Altenkämper versuchte zu lachen, aber es klang eher, als habe sie sich verschluckt. Sie selbst war von der Ankündigung ihres Ehemanns völlig überrascht worden, in der nächsten Woche in ein neues Domizil zu ziehen. Wahrscheinlich steckte eine andere Frau dahinter, auch wenn er das nicht zugeben wollte.
Christiane goss sich ein zweites Gläschen ein. Der Alkohol würde ihr zu Kopf steigen, aber das war ihr egal. Vielleicht traute sie sich in diesem Zustand sogar eher, darüber nachzudenken, wie sie ihr Leben als getrennt lebende Gattin weiter gestalten sollte. Der Likör hinterließ einen süßsauren Nachgeschmack.
Nachdenklich stand sie auf und wanderte ziellos umher. Plötzlich blieb sie abrupt stehen. Soeben hatte sie eine Entscheidung gefällt. Sie würde das Haus verkaufen. Als Einzelperson fühlte sie sich oft sehr verloren in den vielen Räumen, aber das war nicht der Grund. Seit einiger Zeit glaubte sie, dort nicht mehr sicher zu sein. Christiane Altenkämper versuchte sich zu erinnern, was erstmals ihren Verdacht erregt hatte.
Die Puppe aus ihren Kindertagen, die auf unerklärliche Weise morgens in der vollen Wanne gelegen hatte? Die heiße Herdplatte, die fast zu einem Brand geführt hätte? Ihr zerrissenes Lieblingsfoto im Abfalleimer? Weitaus wichtiger aber war die Frage, wer dahintersteckte. Lukas traute sie diese Gemeinheiten nicht zu, obwohl er zweifellos ein Motiv besaß, sie in den Wahnsinn und zugleich aus diesem Haus zu treiben. Oder hatte sie sich einfach mit den falschen Leuten eingelassen? Angst schnürte ihr plötzlich die Kehle zu.
Mit zitternden Knien lief sie zum Fenster und sah in die Dunkelheit hinaus. Als ihr bewusst wurde, dass man sie von draußen beobachten könnte, zuckte sie automatisch zurück.
Eilig durchquerte sie das Zimmer und schaltete das Licht aus. Eine Weile verharrte sie regungslos, dann hatten sich ihre Augen an den spärlichen Schein gewöhnt, der von einer Straßenlaterne hier herein drang. Erneut wandte sie sich zum
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