Ein Fall zu viel
Also dann, zur verabredeten Zeit vor dem Köpi auf der Düsseldorfer Straße«, entgegnete sie mit einem Augenaufschlag, der seinen Herzschlag beschleunigte. Ehe er etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und lief eilig die Treppen zum Ausgang hinunter. Pielkötter sah ihr so lange wie möglich hinterher. Doch Katharina Gerhardt war schon wenige Augenblicke später aus seinem Blickfeld verschwunden. Was hatte er sich nur dabei gedacht, ihre Einladung anzunehmen? Diese Frau faszinierte ihn auf eine kaum zu erklärende Art. Aber er musste aufpassen, deshalb nicht seine langjährige Ehe aufs Spiel zu setzen. Marianne hatte sein Blut früher doch auch in Wallung gebracht. Und später. Erst vor wenigen Nächten waren die Gefühle wieder aufgeflammt. Gut, die Leidenschaft war ebenso schnell abgekühlt, wie sie entbrannt war, und nun war er enttäuscht, weil seine Frau die nächsten Tage in Mailand weilte. Aber durfte er sich deswegen in die Arme einer anderen werfen? Pielkötter seufzte. Nein, das hatte Marianne nicht verdient. Okay, er wollte sich morgen mit Katharina Gerhardt im Köpi treffen, dort seine Neugier befriedigen, mehr aber nicht.
Er atmete dreimal tief durch, als könnte er diese Entscheidung damit bekräftigen, dann setzte er sich in Bewegung. Wenn er sich beeilte, würde er noch vor den Tagesthemen in seinem Sessel sitzen. Ein bisschen Ablenkung hatte er sich nach diesem in jeder Hinsicht turbulenten Abend wohl verdient.
Pielkötter hatte zu Hause gerade seine Jacke abgelegt, da klingelte das Telefon. Katharina oder gar das Krankenhaus? Unwillkürlich schlug sein Herz bis zum Hals. Wahrscheinlich eher Marianne, überlegte er, bestimmt wollte sie ihm mitteilen, dass sie gut angekommen war. Immerhin etwas, nachdem sie ihn ohne ein Wort in Richtung Italien verlassen hatte.
»Sie haben eine neue Nachricht«, hörte Pielkötter die automatische Stimme der T-NetBox. »Heute, um einundzwanzig Uhr. Ihre neue Nachricht: Hallo, wo steckt denn mein alter Herr? Am besten du rufst mich zurück. Liebe Grüße, Jan Hendrik.«
Pielkötter atmete auf. Also nur die T-NetBox mit einer offensichtlich harmlosen Nachricht. Rasch warf er einen Blick auf seine Uhr. Kurz nach zehn. Da sein Sohn gewöhnlich nie vor Mitternacht schlafen ging, war ein Rückruf um diese Zeit kein Problem. Pielkötter ergriff das altmodische Telefon, zog das Kabel in die Länge und nahm mit dem Apparat in seinem Fernsehsessel Platz.
»Hallo, Jan Hendrik, du wolltest mich sprechen.«
»Ja, Mama hat vorhin angerufen. Sie hat mir übrigens von Opa erzählt. Wenn nichts dazwischenkommt, besuche ich ihn noch in dieser Woche im Krankenhaus .Und ich soll dir ausrichten, dass sie gut in Mailand angekommen ist.«
»So, so!«, brummte Pielkötter. »Und warum hat sie mich nicht selbst informiert?«
»Sie hat ein paar Mal versucht, dich zu erreichen, aber du warst offensichtlich den ganzen Abend über nicht zu Hause, und dein privates Handy war auch ausgeschaltet.«
»Weshalb hat sie nicht auf die Mailbox gesprochen?«
»Warum sollte sie? Wir wissen doch, wie stiefmütterlich du dein privates Handy behandelst.«
»Kein Wunder. Das Diensthandy klingelt oft genug.«
»Und genau deshalb hat sie sich bei mir gemeldet«, tönte Jan Hendrik. »Außerdem ist die Hauptsache, dass sie gut angekommen ist. Sie hat sich ja schon seit Wochen auf Mailand gefreut.«
Pielkötter glaubte, sich verhört zu haben. »Wie meinst du das?«, fragte er irritiert.
»Na ja, ihr habt ewig keinen Urlaub mehr gemacht«, erklärte Jan Hendrik. »Als ihr die Chefin dann angeboten hat, zur Modemesse nach Mailand zu fahren, hat sie sich natürlich tierisch gefreut. Wohl auch, weil sie das als eine riesige Anerkennung gewertet hat. Mama war doch immer Hausfrau, und jetzt darf sie über die gesamte neue Kollektion bestimmen. Ich finde das grandios, und vor allem hat sie das verdient.«
»Ja, ja«, beeilte sich Pielkötter zu versichern. »Da trägt sie zweifellos eine gewisse Verantwortung. Aber hätte die Chefin sie auch geschickt, wenn sie nicht krank geworden wäre?«
»Wieso? Was fehlt der denn?«
Sein Atem stockte. »Ich denke, sie hat sich den Fuß verstaucht.«
»Kann schon sein«, erwiderte Jan Hendrik ahnungslos. »Aber das hat ja nichts mit Mamas Aufgabe zu tun. Ihr Flug ist doch seit Wochen gebucht.«
Pielkötter hatte das Gefühl, als risse man ihm den Boden unter den Füßen weg. Marianne hatte es die ganze Zeit gewusst, ohne ein einziges Wort darüber zu
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