Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
heitere und geschäftige Stimmung herrschte. Ständig kam ein neuer grünbemützter Mensch zu mir und nuschelte: »Tach auch. Ich bin der Doktor Soundso!« Durch den Mundschutz konnte ich die Leute nicht auseinanderhalten. Es schienen so viele zu sein, die »Tach auch« sagten. Wie in einem Kasperletheater, wo wieder und wieder der Vorhang aufgeht und stets ein neues Püppchen die Bühne betritt.
Plötzlich ein Rumoren und viel Bewegung in meinem Bauch ... »Och Gott, ist die süß!«, entzückte sich eine männliche Stimme aus dem OP-Team. Ich hörte die Stimme meines Chefarztes: »Die ist ja gar nicht so klein. Klasse. Das haben wir super hinbekommen.«
Dann hörte ich Mia schreien. Ich heulte sofort los. Wollte SOFORT meine Mausi sehen. Ich zappelte voller Ungeduld. Dann endlich. Eine grüne, offensichtlich weibliche OP-Mumie hielt mir Mia direkt vor mein Gesicht. Ich bekam den Ober-Giga-Hammer-Gefühls-Flash. Dieses Gefühl war sensationell. Heiße Liebe rollte wie ein unglaublich großer und niemals enden wollender Lavastrom durch meinen Körper. Mia schaute mir mit ihren Äuglein direkt in meine Augen. Sie traf – KAWUMM – mitten in mein Herz. Ihr Gesichtchen war eine Miniaturausgabe meiner selbst. Mia hatte ein kleines, ganz rundes Köpfchen. Es erinnerte mich an eine Billiardkugel. Kaiserschnittkinder sind irgendwie niedlicher als Spontangeburten. Sie sind so schön rund und so gar nicht zerknautscht.
»Mia will jetzt zu ihrem Papa. Ihr Mann ist schon ganz aufgeregt. Ich bringe die Kleine jetzt zu ihm. Wir sehen uns gleich, Frau Birkhoff!«
Mein Mann. Mein Felix. Die Lavaflut galt auch ihm. Ich heulte und heulte.
»Was ich gedacht habe bei deiner Geburt? Scheiße, habe ich gedacht, schöne Scheiße. Für dieses Balg trägst du jetzt die nächsten zwanzig Jahre die Verantwortung . Genau das habe ich gedacht. Hast du sonst noch ein paar blöde Fragen auf Lager?«
Ich weinte und hörte gar nicht mehr auf. Mein Leben würde ich für dieses Kind opfern. Mein Leben! Ich würde mich wie eine Löwin schützend vor dieses Kind stellen. Diese Gefühle und Gedanken hauten mich um. Das also war Mutterliebe? DAS? So sah Mutterliebe aus? So fühlte sie sich an, diese Mutterliebe? »Ich wünschte, du wärest tot. Dann hätte ich endlich meine Ruhe vor dir!«
Mutterliebe war ein berauschendes Gefühl, und ich war so in meine Gedanken vertieft und so aufgewühlt von dieser nie gekannten und nie erahnten Liebe, dass ich völlig überrascht war, als der Arzt sagte: »So. Endlich. Das hätten wir geschafft. Die OP ist spitze verlaufen. Ihrer Tochter geht es gut.« Er riss sich die grüne Mütze vom Kopf und nahm den Mundschutz ab, und im nächsten Moment rollte mein Bett wieder irgendeinen Flur entlang. Den Rest der Fahrt legte der Chefarzt seine Hand auf meine Schulter und ging neben dem Bett her. »Wir bringen Sie jetzt auf die Wöchnerinnenstation. Ihr Mann und Ihre Tochter warten schon auf Sie.« Die Hand auf meiner Schulter tat mir gut. Es signalisierte mir, dass ich meine Sache in letzter Sekunde doch noch gut gemacht hatte.
Das Bett wurde gedreht und hin und her gerückt, bis ich endlich Felix auf meiner rechten Seite sitzen sah. Er hatte ein klitzekleines weißes Bündel in seinen großen starken Armen. Eine Schwester nahm ihm das kleine Bündel ab und legte es mir in den Arm. Mia schlief. Mia war so klein und zart. Ein hübsches Kind.
»Glückwunsch, Frau Birkhoff. Glückwunsch auch an den Vater. Eine süße Tochter haben Sie da. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Frau Birkhoff, wir sehen uns dann morgen bei der Visite. Schlafen Sie gut.«
Dann wurden wir allein gelassen. Die nächste Generation der Birkhoff-Familie war komplett. Felix konnte nicht mehr. Ein heftiges Schluchzen bahnte sich den langersehnten Weg in die Freiheit. Es war offensichtlich, dass Felix schon seit einiger Zeit mit den Tränen kämpfte. Jetzt, wo wir allein waren, ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Ich liebte ihn abgöttisch dafür. Felix weinte und weinte.
»Was ein Gefühl«, stammelte er tief bewegt. »Das ist Wahnsinn. Unglaublich.« Er schüttelte den Kopf und schnäuzte sich die Nase. Ihm fehlten die Worte. Dafür stieg der nächste Tränenfluss in ihm hoch. In so einer Situation braucht man keine Worte. Da sind die Emotionen Zeichen genug. Felix lag über meinem Bauch und heulte sich die Seele aus dem Leib. Ich heulte mit. Darin waren wir beide geübt und ein prima Team.
Als wir uns so einigermaßen beruhigt hatten, lag
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