Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Flasche und drehte das viel zu große Loch nach unten. Schnell hatte Mia herausgefunden, dass sie mit ihrer kleinen Zunge die Fließgeschwindigkeit der Milch allein beeinflussen konnte, ohne saugen zu müssen. Mia fand das gut, und ich fand das noch viel besser. Ich legte den Boden des Kinderwagens mit vier Schichten einer auseinandergeschnittenen Isomatte aus, packte ein Schaffell darüber, stopfte eine Wärmflasche hinein und ging bei Arscheskälte mit Mia spazieren. Mia fandʼs super. Ich fandʼs ungemütlich und fad. Ich wollte wieder reiten. Wollte ein Mal am Tag etwas für mich allein tun. Der Kinderwagen stand fortan vor der Box mit einem großen Schimmel darin. Mia konnte stundenlang fasziniert dieses Pferd betrachten, vermutlich wegen der weißen Farbe. Der Schimmel starrte unentwegt in den Kinderwagen und war sichtlich hingerissen, wenn Mia mit ihren kleinen Ärmchen wedelte. In der Zwischenzeit ritt ich Orgulloso. Eva hatte aus Frankfurt angerufen und mir mitgeteilt, dass sich ein Ärzte-Ehepaar aus Frankfurt für Orgulloso interessiere. Ich war mal wieder auf dem Trip, nun doch Turniere reiten zu wollen. Ich kannte die Interessenten aus alten Frankfurter Zeiten und wusste, dass Orgulloso es gut haben würde bei ihnen. Wie der Baron und seine Frau waren es ganz reizende Leute. Zwei Wochen später war Orgulloso verkauft. Zu meiner größten Freude sollte er noch weitere sechs Monate in meiner Obhut bleiben. Gegen Bezahlung natürlich. Papa konnte für die Box sein Geld kassieren, und ich wertete unsere Haushaltskasse auf. Mein Gehalt war inzwischen durch ein spärliches Mutterschaftsgeld ersetzt worden, und Windeln und Milchpulver verschlangen unglaubliche Beträge im Monat.
Eines Tages, ich ritt gerade in der Halle, hörte ich Mia schreien. Vermutlich hatte sie Hunger oder die Windel voll. Beides fand Mia grässlich, und binnen kürzester Zeit schrie sie aus Leibeskräften. Entnervt stieg ich vom Pferd ab und beendete die Trainingseinheit. Papa stand am Kinderwagen und schob ihn hin und her. Er war stinkig. Ich sah es ihm meilenweit an. »Das geht doch nicht«, polterte er los, »Kind und Reiten ... Das geht nun mal nicht beides zusammen.« Erbost stapfte er ins Haus zurück. »Ich würde dir gerne die Reitkarte bezahlen, Christine, aber es geht einfach nicht!« Omi weinte. »Ich habe schon versucht, mit deiner Mutter zu reden, aber du weißt ja, wie sie ist. Es tut mir so leid!« Ich war wütend. Wütend auf meinen Schwiegervater. Packte das Pferd in die Box und wechselte Mias Windel. Mutti war nicht zu Hause. Die Stimmung im Hause Birkhoff war angespannt. Nichts für mich. Ich fühlte mich schuldig und verstand meinen Schwiegervater nicht. Er kassierte dreihundertfünfzig Mark im Monat für eine Box, die eigentlich seiner Schwiegertochter zur Verfügung stand. Also gutes Geld, das über war. Und er wusste, dass ich stolz darauf war, mit meinem Hobby Geld zu verdienen. Felix war froh, dass wir dieses Geld hatten, denn auch er hatte gemerkt, dass es mit nur einem Gehalt ganz schön eng wurde. Papa schmollte, und ich packte Mia und ging nach Hause.
Mia schrie schon wieder. In der letzten Zeit schrie sie viel. Ich las Bücher. Jedes Kind kann schlafen lernen , Jedes Kind kann Regeln lernen , Jedes Kind kann essen lernen . Hilfreiche Bücher. Ich kann sie nur jeder werdenden Mutter wärmstens empfehlen. Ich hatte mich exakt an die Ratschläge gehalten, die ich in Jedes Kind kann schlafen lernen gelesen hatte, und ab der dritten Lebenswoche schlief Mausi die Nächte durch. Mutti prophezeite zwar, dass sich das bald wieder ändern würde, aber sie lag falsch.
Überhaupt hatte sie in letzter Zeit ziemlich viele Kommentare auf Lager, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass Mia nicht meine Tochter, sondern ihre Tochter war. Ständig kramte sie in alten Bildern herum und prüfte die Ähnlichkeit zwischen Mia und ihr selbst als Kind. Und wenn das nicht passte, dann kramte sie weiter, zupfte irgendein Kinderbild von Felix aus einer der vielen Fotoschachteln und suchte zwischen ihrem Sohn und ihrer Enkelin eine Ähnlichkeit. Ich existierte nicht. Eine junge Nonne mit einem adretten weißen Mützchen auf dem Kopf hatte sich in das kleine Mädchen mit den großen Kulleraugen verliebt. Sie war so ein süßes Kind. Immer neugierig. Immer fröhlich. In letzter Zeit hatte sich die Kleine verändert. Sie schaute skeptischer. Fragender. Und ständig die blauen Flecken am Körper. Die junge Nonne spürte, dass etwas nicht
Weitere Kostenlose Bücher