Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
wenn ich wieder »die andere Frau« war. Das sah ich damals nicht. Seine Güte kannte keine Grenzen. Auch das sah ich nicht. Seine Bereitschaft, Tobsuchtsanfälle, Unsachlichkeiten und psychische Verschrobenheiten zu verzeihen, kannte auch keine Grenzen. Und auch das sah ich nicht. Ich war in mir gefangen. Ich war eine Gefangene im eigenen Körper. Eine Gefangene der ständigen Erinnerungen. Eine Gefangene im eigenen Verlies.
Das Mädchen kauerte seit dem dreißigsten Geburtstag von Christine Al-Farziz in einer Ecke des Verlieses. Die Wärter waren tot. Der Drache war tot. Aufgeschlossen hatte niemand. Das Mädchen lebte weiter. Sie verhungerte nicht. Sie verdurstete nicht. Sie wartete. Sie wartete. Sie wartete.
Die Geburt verlief nicht wie erwartet. So entspannt ich auch war, der Muttermund öffnete sich nicht. Bei drei Zentimetern war Schluss, und nichts tat sich. Wenn ich gewusst hätte, was aus dir geworden ist, hätte ich dich gleich nach der Geburt wieder reingeschoben. Die Hebamme war ratlos. Ich war ratlos. Felix war ratlos. Mia kämpfte und kämpfte. Die Wehen schoben sie unaufhaltsam weiter, aber gegen einen verschlossenen Muttermund konnte sie beim besten Willen nichts ausrichten. Irgendwann war Mia am Ende ihrer Kräfte. Ihr kleines Herz machte nicht mehr mit. Schaffte es nicht. Schlug zu schnell. Schlug zu langsam. Schlug zu schnell. Ich fühlte mich elendig. Noch nicht einmal eine Geburt brachte ich zustande. Es wurde höchste Zeit, dass etwas getan wurde. Felix und ich spürten es und machten uns große Sorgen.
In Jeans und Hauspantoffeln fegte plötzlich der Chefarzt der Station ins Zimmer. »Hallo, Frau Birkhoff.« Er streichelte mir über die Wange.
Oh Gott, tat das gut. Ein prüfender Blick auf Tabellen und Diagramme. Kurz horchte er meinen dicken Bauch ab. »Ihrer Kleinen gehtʼs nicht gut. Wir müssen einen Kaiserschnitt machen. Die PDA liegt super bei Ihnen. Sie werden nichts spüren.«
Ich starrte den Arzt an. Ich starrte Felix an. »Ich soll wach bleiben? Sie wollen mir den Bauch aufschneiden, und ich soll wach bleiben? Da spiele ich nicht mit!« Ich verschränkte resolut die Arme vor meiner Brust.
»Wenn ich Ihnen eine Vollnarkose verpasse, Frau Birkhoff, dann geht diese Narkose voll aufs Kind. Dann schneide ich. Und zwar so schnell wie möglich. Und dann ist es mir völlig egal, ob da Bauchmuskeln im Weg sind oder nicht. Wollen Sie das?«
Ich antwortete nicht. Sah in Felixʼ besorgtes Gesicht. Blass war er. Fürchterlich blass.
»Lassen Sie mich raten, Frau Birkhoff: Sie hatten vor der Schwangerschaft einen straffen Bauch, richtig?«
Ich nickte: »Einen Waschbrettbauch, Herr Doktor.« Kam mir nun meine Eitelkeit zugute?
»Prima. Dann verabschieden Sie sich jetzt mal von Ihrem Waschbrettbauch. Die Bauchmuskeln muss ich durchschneiden. Die Zeit, das alles sorgsam beiseitezulegen, die haben wir nicht bei einer Vollnarkose. Bei der PDA wäre das etwas anderes. Aber bitte, Ihr Wunsch ist mir Befehl.«
»PeeeeDeeeeAaaaa«, zickte ich den Arzt an. »Wenn die so gut liegt, dann bitte schön. Dann eben mit PDA.« Ich schaute ihn an wie ein trotziges Kind.
»Braves Mädchen. Gute Entscheidung.« Wieder tätschelte er mir die Wange. Er war nett. Er sprach meine Sprache. Dieser Doktor war wirklich klasse.
Ich hatte Angst. Wirklich und wahrhaftig Angst. »Felix«, jammerte ich los, »mir wird so kalt und so komisch ... gib mir die Nierenscha... «
Die Hebamme war schneller und schob mir die Nierenschale gerade noch rechtzeitig unter den Kiefer.
»Sie kollabiert. Herr Doktor! Schnell! Sie kollabiert!«
Kurz und präzise erteilte der Arzt seine Anweisungen. Ich verstand nur noch Wortfetzen, bekam aber mit, dass eine Kanüle nach der anderen in das dünne Schlauchende, das auf meiner Schulter festgeklebt war, reingejagt wurde.
Felix war noch blasser als vorher. Er stand am Fußende des Bettes und hielt sich am Bettgestänge fest. Ich hatte den Eindruck, dass man sich um ihn auch kümmern müsste, und wollte gerade etwas sagen, als das Bett in Fahrt geriet. Die Türen im Flur sausten an mir vorbei.
»Soooooo, jetzt verabschieden Sie sich bitte von Ihrer Frau, es geht jetzt los!«
Mein kreidebleicher Felix beugte sich zu mir herunter und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. »Sei tapfer.« Mühsam hielt er die Tränen zurück. Felix war völlig am Ende. So hatte ich ihn noch nie gesehen.
Ich spürte gar nichts. Absolut gar nichts. Tausend Leute schienen in diesem OP-Raum zu sein. Eine
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