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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Birkhoff
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saßen am Küchentisch. Mia plapperte fröhlich. Machte Blödsinn und hörte gar nicht mehr auf, Blödsinn zu machen. Ständig schlug dieses Kind über die Stränge. Wusste nie, wann es endlich reichte. Wann es Zeit war, aufzuhören. Nie. Hörte nie auf. Es hörte nie auf. ... Mir fiel der Kopf auf die Tischplatte. Vor Müdigkeit. Vor Erschöpfung. Schlafen. Ich wollte nur noch schlafen. Felix räumte ab. Spülte. Warf die Pommes-Schälchen, das Knisterpapier und die Alufolie mit den Ketchupresten in den Müll. Ließ mich am Tisch sitzen und badete Mia. Spielte mit Mia. Herzte Mia. Brachte Mia ins Bett. Brachte mich ins Bett. Trug mich ins Bett und legte mich sanft nieder. Deckte mich zu. Schaute mich lange an. Unendlich lange. Weinte und streichelte mein Haar. Wie Oma.
    Eine freundliche Hand auf meiner Schulter. »Hier, bitte. Sie müssen jetzt Abschied nehmen, Frau Al-Farziz. Nehmen Sie Abschied. Bitte.« Ich schaute den Pastor an. Ein netter Mensch. Freundliche Augen. Mitfühlender Blick. Ich hatte eine kleine Schaufel in der Hand. Wie früher. Schäufelchen. »Christine!
    Nein, nein, mein Kind.« Oma versetzte mir einen freundlichen Nasenstüber. »Das sind die Tulpenzwiebeln. Du brauchst die Tulpenzwiebeln nicht aus der Erde zu graben. Die wollen doch wachsen. Hier. Das da. Das grüne Gestrüpp. Das ist Unkraut. Das muss da raus. Dann haben die Tulpen Platz und können wachsen.«
    Am nächsten Tag fuhr ich zum Polizeiarzt. Keine Ahnung, warum. Ich wollte zu IHM. Zu keinem anderen Arzt wollte ich. Nur zu ihm. Er gehört zum PTSD-Team. Das sind speziell geschulte Polizeiärzte, die in ganz Nordrhein-Westfalen parat stehen, wenn Kollegen ein schreckliches Erlebnis hatten. Nach Schusswaffengebrauch. Nach tödlichen Verkehrsunfällen. Nach allem, was uns Polizisten schwer zusetzt. Was auch wir, bei aller Routine, nicht einfach verkraften. Was uns belastet. Was uns verfolgt. Im ganzen Land gibt es sie. Wenn die Zentrale ruft, dann erhebt sich »Hummel«, der Polizeihubschrauber, binnen weniger Minuten in die Luft. »Hummel« sammelt einen dieser Polizeiärzte ein, und »Hummel« düst zum Einsatzort. Egal wohin. In ganz Nordrhein-Westfalen. Man lässt uns nicht allein.
    »Wie geht es Ihnen, Frau Birkhoff? Sie wollten dringend einen Termin? Schießen Sie los. Was kann ich für Sie tun?« Der Doc schaute hoch. Ich nenne ihn hier »den Doc«. Er wird wissen, wer gemeint ist. Der Doc schaute mir in die Augen. Große braune, unendlich traurige Augen. »Wissen Sie was?« Eine kurze Geste. Seine Hand auf meiner Schulter. »Ich mache mal die Tür zu. Ich glaube, wir brauchen länger. Ich habe alle Zeit der Welt.« Er stand auf. Er war stark. »Frau Grüne? Frau Grüne, sagen Sie bitte alle Termine ab. Jaja. ALLE. Nein. Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich bin jetzt nur noch für die Kollegin Birkhoff zu sprechen. Danke, Frau Grüne.«
    Mein Doc. Schloss die Tür, kam zurück, setzte sich vor mich. Genau vor mich. Legte seine Hand auf mein Knie. Nette Geste. Beruhigend. Nah. Vertraut. Ich flennte. Ich heulte. Ich erzählte und erzählte und erzählte. Froh, dass ich hier war. Froh, dass ich bei der Polizei war. Froh, dass ich Polizistin geworden war. Polizistin. Jürgen hatte das bezahlt. Ausgerechnet Jürgen. Aber noch nicht genug. Er hatte noch nicht genug bezahlt. Da täuschte er sich. Ich war froh, dass ich endlich bei diesem Doc war. Ich erzählte, was mir zu erzählen möglich war. Von Jürgen. Von meinem Vater. Von meiner Mutter. Vom Geschlagenwerden. Vom Getretenwerden. Vom Benutzt- und Missbrauchtwerden. Von Felix. Von Mia. Von den Pferden.Von den vielen toten Pferden. Dass alles umsonst war. Die ganze Arbeit. Die ganze Hoffnung. Ich erzählte von dem blöden Kollegen, der mir zugesetzt hatte, und von den lieben anderen Kollegen. Von denen, die sich Sorgen machten um mich. Von den vielen Kollegen, die mich mochten, die mich gernhatten und die endlich wieder mit mir lachen wollten. Es waren überraschend viele Kollegen. Ich stellte es fest, damals, als ich dem Doc so viel erzählte. Seine geschickten Fragen, die mich immer wieder behutsam dazu brachten, auch die positiven, die gegenwärtigen, schönen Dinge zu erzählen. MEINE Kollegen. MEINE Polizistenkollegen. MEINE Jungs. MEINE starke Truppe.
    »Sie müssen mir helfen. Bitte Doc, Sie müssen mir helfen. Ich schaffe das nicht. Nicht alleine. Wo soll ich anfangen? Was soll ich tun? Ich habe das Fluoxethin weggeworfen. Ich will das Zeug nicht mehr.«
    Der Doc, MEIN Doc,

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