Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
habt doch Erbarmen. Es ist doch nur ein Kind. Habt ein Einsehen.« Flehender Blick von unten nach oben.
Am Fuße des Schafotts tobt die skandierende Masse und schreit mir hasserfüllt entgegen: »Steinigt sie! Steinigt sie! Rabenmutter! Rabenmutter!« Schnitt.
In einem bösen Streitgespräch schleuderte Mutti mir eines Tages entgegen: »Was kostet diese Kita? Was? Siebenhundert Mark im Monat? Dann gib MIR das Geld! Ich kann das besser! Und eines sage ich dir: Wenn du das Kind in die Kita gibst, dann werden sich für dich hier einige Dinge ändern. Merk dir das gut!«
Mein Schwiegervater setzte dem noch eins drauf: »Und glaub man ja nicht, dass ich einen Fuß in diese Kita setze. Nicht einen. Kannste mal zusehen, wer die Kurze da abholt. WIR nicht!« Sprachʼs und blätterte weiter in seinem Landwirtschaftlichen Wochenblatt .
Unser Verhältnis war zerrüttet.
Menschen, die mir drohen, egal ob Vorgesetzte, Freunde oder meine Familie, verspielen meinen Respekt. Ich meine damit nicht das Aufzeigen von Konsequenzen. Ich meine diese Formulierungen wie »Dann lernen Sie mich kennen« oder »Dann wirst du schon sehen, was passiert!« oder »Das wirst du bitter bereuen!« oder eben »Dann werden sich für dich einige Dinge ändern!«. Ich gehöre nicht zu den »Untertanen«, die devot in die Knie gehen, wenn insbesondere Vorgesetzte, also Führungskräfte, mir mit solchen Machtspielchen kommen. Bei Machtspielchen setzen wichtige Kontrollmechanismen in meinem Verstand aus. Das Beste ist dann, wenn ich gar nichts mehr sage. Alles, was mir an Äußerungen noch provokativ entlockt wird, ist hochgradig destruktiv.
Als meine Schwiegermutter damals Wind davon bekam, dass ich mir unbedingt wieder einen Hund zulegen wollte, stellte sie kurz und knapp klar, wie sie darüber dachte: »Du weißt ja, dass fremde Hunde nicht auf den Hof dürfen.« Thema erledigt. FREMDE Hunde. SO war das also. In meinem damaligen Zustand traf das tief und zog mich weiter nach unten. Wieder eine Stufe tiefer auf der Hierarchieleiter. Und auch das Thema »zweites Kind« ließen wir nicht aus. Mutti stellte energisch den Topf auf die Herdplatte und wies mich zurecht: »Glaub man ja nicht, dass du dann zwei Kinder hier abliefern kannst.« Mia war da bereits in der Kita, und zu keinem Zeitpunkt hatten wir Mia zuvor bei meinen Schwiegereltern »abgeliefert«. Meine Schwiegereltern schlugen sich um ihr Enkelkind, da konnte von »abliefern« keine Rede sein. Ich weiß nicht, warum Mutti damals so etwas gesagt hat. Ich bin mir sicher, dass sie sich diese Frage selbst nicht beantworten kann. Aber vielleicht strahlte ich schon so viel Kraftlosigkeit aus, dass sie das Gefühl hatte, noch eine Person mehr schultern zu müssen. Ein solches Gefühl kann einen erdrücken. Es ist diffus, aber es ist da. Vielleicht hatte sie auch nur Angst um ihren Sohn. Es war unübersehbar, dass unsere Ehe den Bach runterging.
Als ich Felix um ein zweites Kind anflehte, stritten wir wieder wochenlang. Die Atmosphäre war genauso wie kurz vor unserer standesamtlichen Hochzeit. Ja, nein, ja, nein, jein, nein, nein, nein! Dazwischen ein Meer von Tränen. Felixʼ Nein brach mir endgültig das Genick. Alle Frauen schienen ihren Job besser zu machen als ich. Ich, die ich die Wohnung so vorbildlich sauber hielt, die ich Felixʼ Unterhosen ganz gerade faltete, die einkaufte, kochte, putzte und Haushalt, Job, Hobby und Kind prima managte. Ich erhielt mit Felixʼ Nein einen Gehaltsauszug der letzten zwei Jahre unter die Nase gehalten. Einen Gehaltsauszug, auf dem in großen Lettern stand: NULL! Ich war eine Null. Hatte offensichtlich nicht zu seiner Zufriedenheit gearbeitet. Hatte es nicht verdient, Mutter eines zweiten Kindes zu werden. Ich hatte es MIR nicht verdient, mich noch einmal fortzupflanzen. Nicht MEINE Gene. Bloß nicht noch mal.
»Wolltest du nie ein zweites Kind?« Ein angeekelter Blick traf mich. Falsche Frage. Mama war doch nicht so gut drauf. Ich hatte einfach nur schwatzen wollen. Allgemeines Geplänkel. Vielleicht ein klein wenig meinen Stellenwert ausloten wollen. Vielleicht einfach mal etwas Nettes hören. Wie konnte man nur so gemein gucken? Es war mir unerklärlich.
Als Mama den Mund aufmachte, sah sie aus, als müsse sie sich jeden Moment übergeben. »Um Gottes willen! Dann hätte ich ja zwei von deiner beschissenen Sorte. Nee! Danke! Du Blag hast mir schon bei der Geburt völlig gelangt. Völlig!«
Felix hatte es mir gerade präsentiert. Ungenügend. Setzen. Ein
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