Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
»Du hier auf dem Boden und nicht auf meinem Rücken?«, schien er zu fragen.
Ich rappelte mich hoch, um wieder auf mein Mäxchen zu krabbeln, und versuchte den linken Arm in Richtung Mähne anzuheben. Komischerweise hob sich mein Arm jedoch nicht. Schlaff hing er an meinem Körper herunter, und ich wurde wütend. »Das Pony gehorcht, und jetzt will dieser blöde Arm nicht«, fluchte ich vor mich hin. Ich schob Max neben einen Baumstamm und wurschtelte mich mit meinem rechten gesunden Arm auf den Rücken. Im Zockelschritt ging es zurück zum Stall.
Der Bauer war entsetzt, als er meinen Arm sah. Ich beruhigte ihn. »Bestimmt ist nur die Schulter ausgerenkt. Ich fahr gleich beim Arzt vorbei, und morgen bin ich wieder da. Tschüss!« Danach radelte ich die knapp zehn Kilometer zurück zur Stadt.
Langsam wurde der Schmerz in meinem Arm unerträglich. Es war brüllend heiß, und mein Fahrrad verfügte über keine Gangschaltung. Da war das Reiten angenehmer, und belustigt stellte ich mir vor, wie ich mit Max durch den Straßenverkehr der Stadt bis zur Arztpraxis traben würde. Ich parkte meinen Drahtesel vor der Praxis des Unfallchirurgen, der schon mein Handgelenk vor zwei Wochen eingegipst hatte. Den fragenden Blick der Arzthelferin quittierte ich mit demonstrativem Schlenkern meines linken Arms. »Ich wollte nur fragen, ob Sie mir den Arm wieder einrenken können. Ich bin mal wieder von Max geflogen«, sagte ich betont lässig.
Eine Stunde später saßen drei Arzthelferinnen und der Doktor vor mir und wickelten mit eingeweichten Gipsstreifen akribisch meinen Oberkörper ein. Das Röntgenbild hatte einen glatten Durchbruch des Oberarms zu Tage befördert. Der Arzt war völlig sprachlos und konnte kaum glauben, dass ich zartes Mädchen nach diesem Bruch zum Stall zurückgeritten und anschließend den weiten Weg vom Dorf in die Stadt mit dem Fahrrad gefahren war.
Ich musste den linken Arm wie Napoleon vor dem Oberkörper kreuzen, damit der Oberarm in einer geraden Stellung fixiert werden konnte. Dann wurde ich mit reichlich Schwefelpulver eingestäubt, und das Eingipsen konnte beginnen. Als die vier ihr Werk beendet hatten, wurde mir bewusst, wie peinlich ich aussah: Damals gab es die Ninjaturtles noch nicht, aber ich war ihr Vorreiter! Vom Hals bis zum Bauchnabel war ich rundherum in einen dicken weißen Panzer gehüllt, und ich fühlte mich wie in einer Ritterrüstung. Bei herrlichstem Sommerwetter hatte ich den Eindruck, dass man mir in der Praxis wohl zusätzlich noch Heizkissen eingearbeitet haben musste. Es war entsetzlich.
Ich stieg wieder auf mein Fahrrad und radelte nach Hause. Meine Mutter erlitt einen mittelschweren Tobsuchtsanfall, und selbst ich konnte dieses Mal verstehen, dass sie den Namen »Max« und den Begriff »Reiten« nie wieder hören wollte. Trotzdem war ich wütend auf meine Mutter, weil die ganze Sache mit Max aus Verzweiflung entstanden war. Wäre es nach mir gegangen, dann hätte ich den Reitstall Körber niemals verlassen, und mein Hobby Reiten wäre wesentlich kultivierter abgelaufen. Meine Mutter interessierten jedoch meine sportlichen Neigungen nicht. Das war mir schon klar geworden, als mein Schwimmtrainer sie darauf angesprochen hatte, mich in der Leistungsriege aufzunehmen. Ich war ehrgeizig und fleißig, und er sah eine Chance, bei intensiverem Training eine gute Wettkampfschwimmerin aus mir zu machen. Weil Dana auch in dieser Riege war und im Herbst zu einem Trainingslager ins Ausland durfte, wollte ich natürlich diese Gelegenheit nicht versäumen. Meine Mutter zeigte meinem Trainer als Antwort auf seine Frage charmant einen Vogel, und Dana gewann im Winter die Europameisterschaften in Luxemburg. Wer weiß, ob ich jemals so weit gekommen wäre? Aber zumindest hätte ich es gern ausprobiert ... Und noch viel lieber wäre ich im Reitsport unterstützt worden. Wenn man einer solchen Passion auch noch später im Erwachsenenalter frönen kann, dann bedeutet das stets einen Lichtblick im Alltag. Und mag der Job noch so stressig und die Partnerschaft noch so frustrierend sein: Durch ein Hobby verschafft man sich immer eine kleine Portion Lebensglück, die einem Kraft zum Weitermachen gibt. Von solchen Lebensweisheiten war meine Mutter jedoch weit entfernt ...
Zwei Wochen später fuhr ich gemeinsam mit Arndt und Anka zu einer Jugendfreizeit der evangelischen Kirche nach Domburg in Holland. Einige Monate zuvor hatte eine Freundin meiner Mutter, die als Sozialarbeiterin für die
Weitere Kostenlose Bücher