Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
offensichtlich nicht passte ... Hals über Kopf hatte ich mich in diesen ostpreußischen Schimmel verliebt!
Anka und ich radelten nach dem Unterricht nach Hause. Ich rechnete hin und her, aber ich befürchtete, dass Oma nicht allzu oft sieben Mark fünfzig für eine Reitstunde übrig haben würde. Ihre Rente war mehr als mager, und meine Mutter brauchte ich erst gar nicht zu fragen, das wusste ich genau. Ankas Mutter kaufte immer eine Zehnerkarte für siebzig Mark, und Anka war dienstags und donnerstags in der Fünfzehnuhrstunde eingeteilt. Bei Doro und Angela sah es genauso aus. Sie alle wurden von den Eltern großzügig unterstützt und hatten meine Sorgen nicht.
»Ich leihe dir eine Reithose«, sagte Anka. »Ich habe zwei Stück. Bis du eine eigene hast, kannst du meine ruhig tragen.«
Ich war Anka so dankbar.
Beim Abendessen war ich in meinem Redefluss nicht mehr zu bremsen. Ich bettelte und flehte so lange, bis Oma schließlich sagte: »Nun ist gut. Am Donnerstag kannst du zum Reitunterricht fahren!«
Oma kaufte ein Paar Reitstiefelchen aus Gummi, und zu Weihnachten bekam ich von beiden Omas eine Reithose und eine Zehnerreitkarte! Einmal in der Woche nahm ich am Unterricht teil und begnügte mich an den anderen Tagen damit, Anka zu begleiten und Flip zu putzen. Herr Körber hatte zwischenzeitlich mitbekommen, dass ich mir die Reitstunden auf der Karte sehr gewissenhaft einteilen musste. Er mochte mich sehr, und manchmal, wenn nur wenige Schülerinnen zum Unterricht kamen, durfte ich Flip umsonst reiten. Alle paar Wochen schoss ich von dem Schimmel im hohen Bogen herunter und landete im Dreck. Doch nicht ein einziges Mal schimpfte ich, sondern verkniff mir jedes Mal die aufkeimende Wut auf das Pferd. Völlig verdreckt setzte ich mich wieder auf Flip, und weiter gingʼs. Kurz vor Ostern war es dann so weit: Flip wölbte stolz den Hals und kaute zufrieden auf seinem Gebiss. Es war ein Gefühl, als ob ich mit diesem Pferd verwachsen wäre. Weich schaukelte mich Flip durch die Halle!
Herr Körber nahm mich eines Tages nach dem Unterricht zur Seite. »Das klappt gut mit dem Flip, nicht wahr?«, schnarrte er. Ich nickte stumm, und mir wurde heiß vor Stolz.
»Du kannst dich für das Reitabzeichen anmelden. Am Ostersonntag ist Prüfung!«
Mir klappte die Kinnlade runter, und ich freute mich wahnsinnig! Aber die Prüfung war teuer. Ich wusste nicht, ob Oma so viel Geld aufbringen konnte.
Zu Hause hörte sich Oma geduldig mein Anliegen an. Dann fing sie auf einmal an zu weinen. Sie schnäuzte sich ihre Nase und wischte sich mit dem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht. Verzweifelt schaute sie mich an. »Du kannst zwar diese Prüfung machen«, sagte sie mit zittriger Stimme, »aber ich weiß nicht mehr, wo ich das Geld für weitere Reitstunden hernehmen soll. Ich habe mit deiner Mutter gesprochen, aber die will nichts von der Reiterei wissen. Es tut mir so schrecklich leid, mein Kind.«
Am nächsten Tag radelte ich wieder zum Reitstall. Mir war schwer ums Herz. Ich weinte und weinte und schüttete Herrn Körber mein Herz aus.
Der Reitlehrer sah mich traurig und mitfühlend an. Er fasste mich an der Schulter. »Schau mich an«, sagte er. »Du wirst diese Prüfung machen und dir diese Chance nicht entgehen lassen, hörst du?«
Ich nickte stumm.
»Wer weiß«, fuhr er fort, »vielleicht geschieht ja doch noch ein Wunder, und du kannst jederzeit zum Unterricht wiederkommen. Und bring deine Großmutter zur Prüfung mit. Einer muss doch stolz sein auf dich. Du musst zwei kleine Hindernisse mit Flip springen und um die Halle reiten. Sei vorsichtig. Flip nutzt schon mal gern diese Gelegenheiten aus. Viel Glück! Wir sehen uns dann Ostern.«
Ich nahm am Prüfungskurs teil, und Oma begleitete mich am Ostersonntag zur Prüfung. Flip sprang die kleinen Hindernisse und benahm sich vorbildlich. Als wir um die Halle ritten, winkte Oma mir mit einer Mischung aus Stolz und Sorge in den Augen zu. In der theoretischen Prüfung glänzte ich vor den Richtern. Als mir einer der Richter am Nachmittag mein »Kleines Hufeisen« mit der Urkunde überreichte, sagte er zu mir: »Wir sehen uns bestimmt bald wieder, Christine. Hier, bei Herrn Körber, wirst du prima gefördert, und du hast sehr viel Talent. Glückwunsch!«
Mein Blick traf Herrn Körber. Er schaute betreten zu Boden. Als Oma und ich uns von Herrn Körber später verabschiedeten, war die Stimmung gedrückt. Herr Körber bedankte sich bei Oma für ihre Unterstützung und
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