Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
schob sie mich couragiert zur Seite und legte einen Sattel auf das Pferd. Ich beschloss umgehend, dieses Mädchen blöd zu finden, und kochte innerlich vor Wut.
»Anmeldung zur Reitstunde!«, ertönte es plötzlich hinter mir. Alle Reitschülerinnen liefen zu einem kleinen älteren Mann, der in abgewetzten Reitstiefeln auf der Stallgasse vor dem Halleneingang stand. Er sah unglaublich streng aus und schien mit seinen scharf blickenden Augen jede Unregelmäßigkeit binnen Sekunden zu erfassen. Sein Blick fiel auf mich. »Na? Wer bist du denn? Du bist neu hier, stimmtʼs?«, schnarrte er.
»Ja«, hauchte ich kaum hörbar.
»Und? Hast du dir schon unsere Pferde angeschaut?« »Ja«, hauchte ich ein zweites Mal.
»Welches Pferd gefällt dir denn am besten?«, fragte mich Herr Körber. Mir wurde heiß, und meine Ohren liefen rot an. »Der Flip, Herr Körber. Den Flip finde ich am besten!« Die Reitschülerinnen lachten.
»Hört ihr wohl auf zu lachen«, polterte Herr Körber los. Er kam auf mich zu und sah mir tief in die Augen. »So, so, den Flip findest du gut? Na dann kommst du am Donnerstag wieder und ziehst dir gefälligst eine Reithose und Reitstiefel an, hast du verstanden?«
»Ja«, hauchte ich ein drittes Mal.
»Der Flip«, so schnarrte Herr Körber weiter und wandte sich der Gruppe zu, »der Flip ist ein Ostpreuße, und er ist mit Abstand das beste Pferd hier im Stall!«
Niemand wagte zu wiedersprechen. Mein Herz hüpfte vor Freude. Herr Körber und ich mochten dasselbe Pferd. Ich konnte es kaum glauben. Die boshaften Blicke des blonden Mädchens kümmerten mich nicht.
Herr Körber verteilte die Schulpferde an die Reitschülerinnen, und ich stellte fest, dass je freundlicher die Mädchen fragten, ob sie ein bestimmtes Pferd reiten dürften, er umso eher geneigt war, ihnen ihren Wunsch zu erfüllen. Ein großmäuliges Mädchen mit langen braunen Haaren wurde auf ihr schnippisches »Ich will aber den Esprit reiten!« rüde von Herrn Körber zurechtgewiesen. »Wenn du weiter so mit mir sprichst, reitest du nur noch den Junker!«, polterte er los.
Junker, so begriff ich sofort, war wohl die »Reitgurke« des Stalls. Und tatsächlich, in der Reitstunde wackelte der kleine braune Vollblüter Junker als Letzter hinter der Gruppe her, kürzte die Ecken großzügig ab, und schenkte seinen Reitern keinen einzigen Schritt. Noch ahnte niemand, dass ich nur wenige Wochen später mit Junker vorn an der Spitze, der Tete, reiten und Junker mit stolz gewölbtem Hals nicht wiederzuerkennen sein würde. Er war einfach viel zu intelligent und arbeitete dementsprechend ökonomisch. Über zwanzig Jahre diente er als Schulpferd, und es gab kaum jemanden, dem er seine wahre Leistungsfähigkeit anbot.
Es war offensichtlich eine Ehre, vorn an der Tete reiten zu dürfen. Dafür musste man die einzelnen Figuren, die so genannten Hufschlagfiguren, beherrschen und sein Pferd sicher im Griff haben. In meiner ersten Reitstunde ritt Angela mit Amigo vorn, gefolgt von Doro und Igor. Igor war ein unglaublich eifriges Pferd und kaum zu bremsen. Es wunderte mich nicht, dass Igor nichts auf die Rippen brachte. Das blonde Mädchen saß auf Flip, der völlig gelangweilt durch die Halle schlurfte. Herr Körber raunzte das Mädchen an und schüttelte verächtlich den Kopf. Ich stand am Rand der Halle und freute mich diebisch. Das Mädchen auf Junker sah wirklich unglücklich aus, und ihr schien diese Reitstunde keinen Spaß zu machen.
»Abteilung ... Gaaaaalopp !«, kommandierte Herr Körber.
Flip erwachte urplötzlich aus seinem Dornröschenschlaf und schoss buckelnd quer durch die Halle. Noch bevor er seine Ehrenrunde beendete, hatte er sein Werk vollbracht. Das blonde Mädchen lag auf dem Reithallenboden und spuckte den Sand aus dem Mund. Flip trottete gemächlich zu Herrn Körber und stellte sich vor seinen Herrn.
Herr Körber tobte. »Was machst du mit dem Flip?«, schnauzte er das Mädchen an. »Reite gefälligst, dann macht er so einen Quatsch auch nicht! Ihr sitzt alle nur hübsch da oben drauf, anstatt zu REITEN«, wetterte er durch die Halle. Die Schule von Herrn Körber war eine harte Schule.
Das blonde Mädchen schniefte und heulte, packte sich die Zügel von Flip und verließ die Halle.
»Auch noch feige!«, knurrte Herr Körber verächtlich.
Flip hatte erreicht, was er wollte. Ich sollte noch oft erleben, wie er seinem Namen alle Ehre machte und auf seine Art die Reitstunde beendete, wenn ihm der Reiter auf seinem Rücken
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