Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
hörte gar nicht auf, ihr die Hand zu schütteln. »Kopf hoch, Christine. Wir sehen uns bestimmt bald wieder!« waren seine letzten Worte.
Ich habe Herrn Körber nie wieder gesehen. Als ich sechs Jahre später endlich das Geld hatte, um in der Reitschule Körber wieder Unterricht nehmen zu können, war der alte Reitlehrer gerade gestorben.
Mit meinem Reitabzeichen in der Hand wuchs der Hass gegen meine Mutter unmerklich und stetig. Meine Oma tat mir leid, und gleichzeitig war ich wütend über die Situation. Menschen, die die Möglichkeit hatten, mich zu unterstützen, ließen mich hängen. Und Menschen, die mich unterstützen wollten, hatten die Möglichkeiten nicht. Das Leben war ungerecht.
Zeitgleich hatte meine Mutter die Scheidung durchgesetzt. Mein Vater verzichtete auf das Sorgerecht für mich und erhielt fünfzigtausend Mark als Abfindung, weil meine Mutter sonst meinem Vater Unterhalt hätte zahlen müssen. Er räumte die Wohnung und hinterließ eine Spur der Verwüstung.
Als meine Mutter die Wohnung halbwegs wieder hergerichtet hatte, hieß es für mich, nach über einem Jahr wieder einmal von Oma Abschied zu nehmen. Ich war jetzt zwölf Jahre alt und freute mich ganz und gar nicht auf die Zukunft. Mit meiner Mutter allein zu leben war mir nicht geheuer. Jürgen lebte immer noch bei Margot, und meine Mutter und er hatten heimlich ein Verhältnis.
Als ich kurz nach Ostern mit meiner kleinen Reisetasche in dem spärlich möblierten Kinderzimmer stand, überfielen mich dunkle Vorahnungen. Ich hatte das komische Gefühl, in ein Gefängnis eingezogen zu sein, und alles in mir war auf Flucht programmiert. Wieder einmal sollte ich mit meinen düsteren Prognosen richtigliegen. Mein Leben änderte sich nach dem nun folgenden Sommer schlagartig und von Grund auf. Ich lernte, dass es im Leben zu allem noch eine Steigerung gab …
________________KAPITEL 4________________
»Eine für alles«
D
ie ersten Wochen nach unserem Einzug verliefen noch relativ ungetrübt. Ich konnte mich mit meinen Freundinnen verabreden, ins Kino gehen, beim Eisessen meine ersten Flirtversuche unternehmen, und nach meinem Abschied vom Reitstall Körber hatte ich ein neues Pflegepony bei einem Bauern gefunden. Max war ein großes Pony und sah mit seinen schwarzweißen Flecken im Fell aus wie ein Indianerpferd. Überdies war er noch nicht eingeritten. Der Bauer war froh, dass ich tollkühnes Mädchen diesen kleinen Wildfang einritt, denn seine eigene Tochter war erst sechs Jahre alt. Es würde noch lange dauern, bis sie groß genug war, um Max zu reiten. Mit der für Kinder typischen Unbefangenheit setzte ich mich einfach auf Max drauf, und los gingʼs! Mehr als einmal flog ich auf der Weide in den Dreck, und der Bauer wunderte sich, dass ich keinen Gedanken ans Aufgeben verschwendete. Von Flip war ich es gewohnt, in regelmäßigen Abständen »den Boden zu küssen«, und alles war besser, als gar nicht mehr zu reiten.
Als Max mich auf seinem Rücken duldete, unternahm ich völlig unbeschwert die ersten Ausflüge mit ihm in den Wald. Im ersten Monat unseres Zusammenseins bescherte mir dieser Wagemut einen Bruch des Handgelenks. Doch meine Freude am Reiten verlor ich dadurch nicht, noch mit dem Gips am Arm saß ich schon bald wieder auf Mäxchen und genoss meine Freiheit in der Natur. Zwei Wochen nachdem der Gips entfernt worden war, galoppierten wir wie die Wilden einen Waldweg entlang. Ein klitzekleiner Stichweg blieb meinen Augen verborgen. Den Blick stur geradeaus gerichtet, heizte ich mit meinem Indianerpony den Weg entlang und fühlte mich wie Kara Ben Nemsi auf seinem Rih. Wenn er »Rih« in das Ohr seines Pferdes flüsterte, dann preschte der Gaul los.
DAS musste ich ausprobieren!
»Max« flüsterte ich in das Ohr des Ponys. Plötzlich war Max unter mir verschwunden. Eine solche Szene gab es bei Karl May nicht, das wusste ich genau. Noch während meiner Flugphase realisierte ich, dass Max sich für den kleinen Stichweg entschieden und in einer rasanten Rechtskurve instinktiv den Weg zurück zum heimatlichen Stall eingeschlagen hatte. Ich krachte mit meinem Oberarm auf einen Baumstamm und blieb für Sekunden regungslos liegen. »Schöner Mist«, dachte ich. »Jetzt liegst du hier mitten im Wald, und das blöde Vieh ist auf dem Weg nach Hause.«
Ich traute meinen Ohren nicht, als es im Unterholz knirschte und knackte und Max hervorgetrabt kam. Langsam schritt er auf mich zu und schaute mich völlig erstaunt an.
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