Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
und Bekanntenkreis beruhigt sich lieber immer wieder selber, als die Augen zu öffnen und eine solche Wahrheit zu akzeptieren. Auf keiner Stirn steht geschrieben »Kinderschläger«. In keinem Gesicht der Welt erkennen wir den »Kinderschänder«. Sie alle können noch so nett, noch so engagiert, noch so »liebevoll« sein ... Das unvorstellbare Leid der Kinder spiegelt sich ausschließlich im Verhalten der kleinen Opfer wider. Und dennoch werden die Eltern dieser Kinder immer begutachtet unter der Prämisse, ob man sich bei »denen« eine solche Tat vorstellen könnte. Ein fataler Irrtum! Und es sind auch nicht immer DIE Kinder, die introvertiert und verschlossen wirken. Und es sind auch nicht immer DIE Kinder, die phallusartige Gebilde malen. Im Leben nicht wäre ich später mit vierzehn Jahren auf die Idee gekommen, kleine Pimmelchen zu malen, weil ich missbraucht wurde.
Im dritten Schuljahr erhielt ich oft den Auftrag, irgendwelche allgemein gültigen Meldungen durch alle Klassen der Grundschule zu tragen. Ich bekam dann einen Zettel in die Hand gedrückt und startete mit meinem Umlauf. Wie Speedy Gonzales spurtete ich durch die Gänge und Flure, stets bemüht, durch die Geschwindigkeit meiner Erledigungen positiv aufzufallen. Obgleich ich der Störenfried der Klasse war, galt ich doch als extrem zuverlässig, wenn es um das Übertragen von Aufgaben ging. An einem dieser Tage fiel mir auf, dass je schneller ich ging, desto schneller flitzten die Bodenfliesen unter meinen Füßen hinweg. Steigerte ich die Geschwindigkeit, so hatte ich das Gefühl, auf einem Laufband zu stehen. Nicht meine Füße flitzten, sondern der Boden ... Im vollen Tempo hatte ich auf einmal das Gefühl für meine örtliche Position verloren. War ich an der 4c schon vorbei, oder kam diese Klassentür noch? Wohl oder übel musste ich mich von den Bodenfliesen trennen und schaute auf. RUMS machte es, und ich torkelte benommen zurück. Ich begriff, dass ich nicht in Höhe der 4c gewesen war, sondern exakt in Höhe der Garderobe. Leider hatte ein Kind vergessen, die Garderobentür zu schließen, und ich war volle Granate vor diese Tür gedonnert. Fontänenartig schoss das Blut in kurzen pulsierenden Abständen aus meiner Nase. In Ordnung war das nicht, das war mir schnell klar. Ich ging vorsichtig vom zweiten Stock durch den Flur zum Treppenhaus und stieg die Stufen zum ersten Stock und anschließend zum Erdgeschoss hinunter. Hinter mir sah es aus, als hätte man ein abgestochenes Schwein durch die Gänge getragen. Die vielleicht fünfundzwanzig Sekunden, die bis zum Öffnen der Hausmeistertür vergingen, reichten völlig aus, um mich in einer Blutlache stehen zu lassen. Als mich der Hausmeister sah, kollabierte er fast. Der Notarzt und RTW wurden alarmiert, und nichts half in der Zeit des Wartens. Die Blutungen waren nicht zu stoppen.
Ich hatte mir das Nasenbein glatt durchgebrochen, und die Region um beide Augen verfärbte sich zusehends. Nach zwei Tagen sah ich aus wie das Phantom der Oper in einer Negativaufnahme. Schwarze, breite Ringe zeichneten sich um beide Augen und Nase, und ich schwoll ballonartig an. Nie wieder habe ich erlebt, dass meine Eltern so eindringlich von Bekannten und Freunden gefragt wurden, was denn um Himmels willen mit mir passiert sei! Das Misstrauen war förmlich zu spüren, und ich feixte innerlich! Dieses eine Mal hatten sie nun wirklich alle zu Unrecht meine Eltern in Verdacht, und obwohl sie nichts, aber auch wirklich gar nichts dafür konnten, weil es tatsächlich ein Unfall war, so freute ich mich doch unbändig über diese Unannehmlichkeiten. Lieber einmal zum falschen Zeitpunkt als keinmal. Genau das habe ich mit meinen sieben Jahren gedacht. Unter diesem Verdacht ließen mich meine Eltern tatsächlich für über einen Monat in Ruhe, denn Gott sei Dank brauchte der Verlauf aller Farbspektren viele Wochen, um gänzlich abzuklingen. Dieses Erlebnis gefiel mir außerordentlich!
________________KAPITEL 2_______________
Jürgen und Margot
I
m Bekanntenkreis meiner Eltern gab es ein Ehepaar, Jürgen und Margot. Jürgen war selbstständiger Unternehmer und besaß eine Firma, die Transformatoren und Batterieladegeräte produzierte. Margot war Mutter und Hausfrau, und dieser Umstand allein veranlasste meine Mutter zu ständigen Hetzereien. Meine Mutter war der Auffassung, dass Nurhausfrauen allesamt faule und geldgeile Weiber seien, die den ganzen Tag nichts anderes täten, als sich die
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