Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Französischkenntnissen zu glänzen.
Irgendwann waren Léon und meine Mutter völlig betrunken. Léon nahm sie in den Arm und erzählte ihr, dass sie eine lustige und unterhaltsame Person sei. Als die beiden begannen, die französische Nationalhymne zu singen, wurde mir schlecht. Ich war zudem hundemüde und fühlte mich elend. Mein Verlobter saß keine acht Stunden nach dem Tod meiner Oma mit meiner Mutter im Arm fröhlich feiernd vor mir! Ich fand das Ganze geschmacklos und war bitter enttäuscht.
»Ich geh ins Bett. Mir reichtʼs! Komm bitte, Léon!« Mein Ton war alles andere als freundlich.
Léon protestierte heftig, und meine Mutter lallte mir entgegen: »Jetzt werd maʻ nicht komisch, ja?«
Auch Jürgen verstand so gar nicht, warum ich böse wurde. »Christine! Jetzt freu dich doch, dass wir deinen Léon so nett finden! Stell dich doch nicht so an!«
Ich warf Jürgen einen wütenden Blick zu und ging in den Keller. Als ich geduscht hatte und in das Leopardenzimmer gehen wollte, stand Jürgen plötzlich vor mir. Sein Blick, sein ganzer Gesichtsausdruck verrieten mir, dass er tatsächlich die Unverschämtheit besaß, mir an die Wäsche gehen zu wollen! »Fass mich nicht an!«, zischte ich ihn drohend an.
Jürgen grinste nur und entgegnete: »Zierst du dich jetzt etwa? Die beiden da oben bekommen eh nichts mehr mit!«
Von oben hörte man immer noch das Geträller der französischen Nationalhymne, unterbrochen vom kreischenden Gelächter der beiden.
»Ich schwöre dir, Jürgen! Ich bringe dich um!« Wütend funkelte ich Jürgen an! »Ich schreie! Ich schreie so laut, dass es die Nachbarn hören! Fasst du mich an, bist du tot!« Ich ging auf Jürgen zu. Das erste Mal in meinem Leben wich ich diesem Mann nicht aus, sondern ging auf ihn zu. Ich staunte über mich selbst.
»Was bist du zickig geworden«, sagte Jürgen. »Dann lass dich von deinem Franzosen durchbumsen!« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging die Treppen hinauf.
Die ersten Sekunden lag ich noch im Bett und lauschte, ob ich irgendwelche verdächtigen Geräusche wahrnehmen konnte. Der Schlaf übermannte mich jedoch schnell, und mein Schlaf wurde auch nicht unterbrochen.
Am nächsten Morgen war ich voller Wut und Hass auf Jürgen und meine Mutter. Von Léon war ich vor allem enttäuscht.
Ich war aber die Einzige von uns, die beim Frühstück schlechte Laune hatte und deprimiert dreinblickte. Und dazu hatte ich allen Grund. In drei Tagen war die Beerdigung meiner Großmutter.
Ich musste zurück nach Frankfurt, um meinen Flugplan ändern zu lassen. Léon verstand die Welt nicht mehr, als ich ihn zum Flughafen nach Düsseldorf brachte und ihm sagte, dass ich die nächsten Tage nicht mit ihm verbringen wollte, sondern allein sein musste. Die Wahrheit war, dass ich Léon als einen von »denen« erlebt hatte und ich ihn als völlig illoyal empfand. Von diesem Moment an wusste ich auch, dass eine Trennung von ihm nur noch eine Frage der Zeit war. Zu einem ausgiebigen Gespräch war ich in der damaligen Situation nicht fähig. Ich erkenne heute, dass Léon Charakterzüge hatte, die mir auf Dauer nicht gutgetan hätten. Die spätere Trennung war durchaus positiv für mich. Mit Sicherheit aber war Léon kein illoyaler Mann, denn hätte er um alle Umstände gewusst, wäre sein Verhalten bei Jürgen ein ganz anderes gewesen. Heute denke ich, dass er niemals eine Übernachtung in Jürgens Haus zugelassen hätte, wenn er meine Vergangenheit gekannt hätte.
Damals schien für mich der Fall klar zu sein. Ich war unendlich erleichtert, allein nach Frankfurt und später allein zur Beerdigung meiner Großmutter zu fahren. Am Tag der Beerdigung regnete es in Strömen, und für Juni war es bitterlich kalt. Es amüsierte mich ein wenig, dass die meisten Gäste Leute waren, die Oma eigentlich nicht sonderlich gemocht hatte und die sich tatsächlich auch nie besonders um sie gekümmert hatten. Doch als ich vom Rand aus zusah, wie der Sarg mit dem Leichnam in die Erde gelassen wurde, war mir, als würde ein Teil von mir mit in die Erde herabgelassen! Wie gern wäre ich an ihrer Stelle gewesen, das habe ich damals wirklich gedacht! Ich fühlte mich schrecklich einsam, ich hatte alles verloren. Meine Mutter widerte mich an, und in das Haus meiner Oma würde ich vermutlich nie mehr zurückkehren können. Wo war jetzt meine HEIMAT? Diese Stadt war nicht mehr meine Heimat. Ich hatte hier kein Zuhause mehr. Und ich war hier auch nicht mehr erwünscht. Meine Wurzeln
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