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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Birkhoff
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in der Geldkassette«, hörte ich Omas Worte plötzlich noch einmal. Tante Evi saß am Küchentisch und heulte. Und Jürgen? Ich ging zum alten Schlafzimmer von Oma, als Jürgen mir entgegenkam und mit geheuchelter Trauermiene in die Küche zu Tante Evi ging. Die Geldkassette stand ganz vorn im Kleiderschrank. »Ich hätte sie auch gefunden, wenn sie wie immer hinter den Hutschachteln gewesen wäre, Oma«, murmelte ich vor mich hin. Ich fand, was ich brauchte und vor Wochen bereits in meinen Händen gehalten hatte. Der Bestatter war sehr freundlich am Telefon und teilte mir mit, dass bereits alles im Vorfeld geregelt worden sei. Damit sagte er mir nichts Neues.
    Als der Bestatter eintraf, war es bereits fast einundzwanzig Uhr, und meine Mutter dachte nicht im Traum daran, die Tür aufzuschließen.
    »Mama!«, rief ich an der Tür, »Mama, der Bestatter ist da!« Ich erhielt keine Antwort.
    Erst als Jürgen sein säuselndes »Aber Gundis! Jetzt mach doch bitte kein Theater!« losließ, öffnete sie völlig verheult die Tür. »Was soll denn das, dass du dich über zwei Stunden mit der Leiche einschließt?«, fragte Jürgen in einem Ton, der keine Antwort erwartete.
    Als der offene Sarg später an mir vorbeigetragen wurde, lag in dem Sarg zwar ein Mensch, aber dieser Mensch hatte jedwede Ähnlichkeit mit meiner Großmutter verloren. Ich könnte mich heute nicht mehr an diesen Anblick erinnern, selbst wenn ich es wollte. Ich habe ihn vollständig aus meiner Erinnerung gelöscht.
    Einen Zwischenfall kann ich aber nicht vergessen. Die Sargträger kamen im Hausflur nicht um die Ecke, weil der Flur zu eng war. Wir klingelten also an der Tür des Nachbarn, der im Erdgeschoss wohnte. Oma hatte mir erzählt, dass sie diesen Mann unmöglich fand, weil der zwar seine Fotos in die schweren, alten Zimmertüren hämmerte, sich aber nicht die Bohne um den Garten kümmerte. Als sie ihm die Wohnung vermietet hatte, schwor er, sich um die »Männerarbeiten« zu kümmern und sie zu entlasten. Nichts hat er für meine Oma getan. Stattdessen, so beklagte sie sich bei mir, schleppte er scharenweise die jungen Mädchen in seine Wohnung. Es dauerte, bis der Mieter die Tür öffnete. Er war fast nackt, hatte lediglich ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Hinter ihm stand eine erschrocken dreinblickende Blondine, die maximal in meinem Alter war. Dem Mieter fiel buchstäblich alles aus dem Gesicht, als er die Sargträger mit dem offenen Sarg sah. Er zog sich schnell eine Jeans über und hob dann die schwere Wohnungstür aus ihren Angeln. Sein Gesicht, als der Sarg mit dem Leichnam meiner Großmutter direkt an ihm vorbei in seinen Wohnungsflur getragen wurde, werde ich niemals vergessen. Ich stand am oberen Treppenabsatz und freute mich auf einmal diebisch. In letzter Sekunde wischte Oma ihm doch noch eins aus. Bei diesem Gedanken, ich muss es zu meiner Schande gestehen, konnte ich nicht anders, als laut aufzulachen, was allen Anwesenden peinlicher war als mir selbst. Aber bis heute muss ich mindestens breit grinsen, wenn ich an die Blicke dieses Mieters und seiner Nachtbegleitung denke.
    Ich schloss sorgfältig die Wohnungstür ab und verließ mit den anderen Omas Haus. Es sollte das allerletzte Mal sein, dass ich es betreten hatte.
    Mit meinem Avis-Wagen bretterte ich nach Düsseldorf zum Flughafen, um Léon abzuholen. Er kam mit der letzten Maschine der Air France an. Es war für ihn selbstverständlich, mich in dieser Situation nicht alleinzulassen. Jürgen hatte mich bekniet, in dieser Situation der »gemeinsamen Trauer« fünfe gerade sein zu lassen und den Tod meiner Oma als neue Chance für meine Mutter und mich anzusehen. »Deine Oma hätte es bestimmt auch so gewollt«, waren die Worte, die mich umstimmten.
    Léon und ich fuhren also zu Jürgens Haus, und es war weit nach Mitternacht, als wir ankamen. Ich war fix und fertig, denn ich hatte seit über vierzig Stunden nicht mehr geschlafen. Jürgen tischte Rotwein auf und bat uns, doch wenigstens noch für einen kurzen Moment zusammenzusitzen. Léon kannte Jürgen und meine Mutter nur aus meinen unvollständigen Erzählungen. Alles, was er wusste, war, dass ich meine Mutter als lieblos empfand und deshalb den Kontakt zu ihr mied. Meine Mutter und Léon frönten dem Rotwein, und Jürgen schüttete die Gläser immer wieder voll. Die Themen wechselten vom Tod meiner Großmutter zu Frankreich, seinen Sitten und Gewohnheiten, und meine Mutter war bemüht, mit ihren noch recht guten

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