Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
wurden gerade beerdigt und verschwanden unter einer meterhohen Schicht schwarzer Erde. »Tschüss, Omi«, flüsterte ich und warf meinen kleinen Rosenstrauß hinab.
Vielleicht war ja Frankfurt jetzt meine Heimat? Ich wusste es nicht. Frankfurt war jedenfalls der Ort, wo mein Bett und mein Schrank standen und wo Kirsten und Peter sich tierisch freuten, wenn ich zur Tür hereinkam. Meine Heimat war offensichtlich da, wo ich gemocht wurde. In Afrika hatte ich mich schließlich auch heimisch gefühlt. Meine Heimat war ganz gewiss nicht in Frankreich. Der Abend bei meiner Mutter und Jürgen hatte das Verhältnis zwischen mir und Léon verändert. Etwas Unverzeihliches lag zwischen uns.
________________KAPITEL 9________________
Alfons
»Meine Güte!«, schrie ich meine Mutter an. »Ich habe dich lediglich gefragt, wann eigentlich Testamentseröffnung ist, nicht mehr und nicht weniger!« Ich schäumte vor Wut und hätte den Hörer am liebsten gegen die Wand geschleudert!
»Dass das klar ist«, echauffierte sich meine Mutter am anderen Ende der Leitung, »hier gilt die gesetzliche Erbfolge, und mit der hast du nun mal nichts zu tun!« Sie schnaubte verächtlich.
Ich legte auf und ärgerte mich über mich selbst. Eine Woche war seit Omas Beerdigung vergangen. Ihr Satz »Oma hat für dich gesorgt« war mir spontan durch den Kopf gegangen. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wann eine Testamentseröffnung prinzipiell stattfindet und deshalb meine Mutter angerufen. Und kaum hatte ich meine Frage gestellt, platzte ihr auch schon der Kragen. Es war, als hätte ich in ein Hornissennest gestochen!
»Von welchem Testament quatschst du da eigentlich?«, war ihre erste aufgebrachte Frage gewesen.
»Ich dachte, Oma hätte ein Testament hinterlassen«, entgegnete ich.
»Erzähl nicht so einen Mist! Was bildest du dir eigentlich ein, wer du bist?«, hatte meine Mutter in den Hörer gebrüllt.
Oma sollte also nicht für mich gesorgt haben? Hatte sie das erste Mal in ihrem Leben, ausgerechnet kurz vor ihrem Tode, haltloses Zeug geredet? Niemals, da war ich mir völlig sicher. Mir fiel die Situation ein, als ich wenige Minuten nach ihrem Tod in ihr altes Schlafzimmer ging und mir Jürgen auf einmal entgegenkam. Richtig! Hatte nicht auch Omas alte Geldkassette ganz vorne gestanden? Sie selbst war doch bettlägerig gewesen. Sie selbst hätte doch gar nicht mehr an die Geldkassette gehen können? Und ich selbst hatte die Geldkassette ganz nach hinten gestellt und die alten Hutschachteln davor gepackt. So, wie es Oma auch immer getan hatte. Jürgen! Jürgen wäre es zuzutrauen, ein Testament verschwinden zu lassen, dafür hätte ich jeden Eid geschworen. Es konnte nur Jürgen gewesen sein. Und nun?
Seufzend schlug ich die Hände vors Gesicht und setzte mich auf mein Bett. »Omi, Omi«, murmelte ich vor mich hin, »jetzt haben sie mich auch noch um mein Erbe betrogen ... « Gedankenverloren spielte ich an dem Siegelring an meinem Ringfinger. Das ist alles, was mir von dir geblieben ist ... In mir breitete sich eine große Leere aus. Mit jedem Tag schien dieses Gefühl weiter um sich zu greifen. Wie gern hätte ich diese Leere zumindest mit meinen Tränen gefüllt. Es tat so gut, den Tränen freien Lauf zu lassen und den Schmerz aus sich herauszulassen. Aber nicht eine Träne war meiner Seele zu entlocken. Die Leere blieb und fraß sich tief in mich hinein.
Einige Wochen später kehrte ich von einem Flug nach Nairobi zurück. Wir hatten in Nairobi fünf Tage frei und eine Safari zum Lake Nakuru unternommen. Mein kleiner Fotoapparat war voll mit Bildern von den üppigen und farbenprächtigen Obstpräsentationen auf dem Frühstücksbuffet im Hotel, den putzigen Äffchen im Dschungel, einer wunderschönen Giraffe, der Warzenschweinfamilie in der Steppe und von den elitären Lodges, deren Gärten alle aussahen wie der englische Rasen vor dem Buckingham Palace. Das Klima in Nairobi war einzigartig: Tagsüber herrschten angenehme Temperaturen von achtundzwanzig Grad, und abends kühlte es ab bis auf achtzehn Grad. Die Luft war mild und frisch, und die Farben der Natur überwältigend. Niemals zuvor hatte ich schönere Märkte gesehen als in Nairobi. Wahnsinn. Das musste ich Oma erzählen. Ich nahm den Hörer ab, wählte ihre Nummer und legte mir die ersten Worte bereits im Kopf zurecht. Oma würde staunen.
»Ja hallo? Wer ist da bitte?«, ertönte eine fremde Stimme aus dem Hörer.
Mir war auf einmal, als erwachte ich aus
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