Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
meiner Tochter angetan hat.«
»Was?«, fragte Daddy.
»Er weiß es noch nicht«, erklärte Mom. »Wir wollten es gerade besprechen.«
»Ich verstehe«, sagte Mr Stilwind. »Wollen wir uns vielleicht setzen?«
»Ihr Schwein von einem Sohn ist so gut wie tot«, knurrte Daddy.
»Halten Sie sich gefälligst zurück«, sagte Mr Stilwind.
»Stanley«, sagte Mom. »Warte doch erst mal ab ... Bitte setzen Sie sich, Mr Stilwind.«
»Ich hol noch ’ne Tasse Kaffee«, sagte Rosy.
Sie setzten sich zusammen an den Tisch, außer Rosy, die frischen Kaffee aufgoss, und mir. Ich saß auf der Küchentheke und ließ die Beine baumeln.
»Mein Sohn hat mir berichtet, dass es da ein kleines Missverständnis gab«, fing Mr Stilwind an.
»Das war kein Missverständnis«, sagte Callie. »Ein Missverständnis hat mir nicht die Bluse zerrissen.«
»Ich glaube, es ist besser, wenn die Erwachsenen das besprechen«, sagte Mr Stilwind.
»Ich bin diejenige, um die es hier geht. Da sollte meine Meinung doch wohl zählen.«
»Ein junges Mädchen, ein junger Mann – da kann es schon mal ein bisschen heiß hergehen.«
»Ein bisschen heiß?«, sagte Callie. »Er ist gleich am Anfang übergekocht.«
»Dann musst du wohl zugeben«, sagte Mr Stilwind, »dass du nicht mit ihm hättest mitgehen sollen. Du hättest seine Leidenschaft nicht noch zusätzlich befeuern sollen.«
»Gar nix hat sie befeuert«, sagte Rosy. »Ihr Junge is schließlich kein Junge mehr. Er is ’n Mann. Der weiß genau, was er tut.«
»Ich bin es durchaus nicht gewohnt, dass das Hausmädchen so mit mir spricht. Weder mein eigenes, noch das anderer Leute.«
»Langsam kriege ich ein Bild von dem, was hier los ist«, sagte Daddy. »Und eins sag ich Ihnen, wenn dieser Junge Ihr einziger Sohn ist, dann wird Ihr Name nicht weiterleben, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Wollen Sie meinem Sohn drohen?«, fragte Mr Stilwind.
»Wenn die Sache so aussieht, wie ich denke, dass sie aussieht, dann hören Sie von mir keine Drohungen. Sondern ein Versprechen, und er ebenfalls.«
»Vielleicht ist es nicht ganz so, wie du denkst, Daddy«, sagte Callie. »Ich wurde nicht ... na ja, du weißt schon. Nichts dergleichen.«
Ausführlich erzählte Callie die ganze Geschichte. Als sie fertig war, brachte ich meine Version vor.
Dann sagte Stilwind: »Mädchen machen Jungs nun mal schöne Augen. Jungs wissen nicht immer, ob sie es ernst meinen oder nicht. Vielleicht hast du ihn dazu ermuntert.«
»Mir ist es egal, ob sie geflirtet hat oder nicht«, sagte Daddy. »Er ist zu weit gegangen, schöne Augen hin oder her.«
»Er hat nich das Recht, Miss Callie zu schlagen«, sagte Rosy.
»Dich geht das Ganze ja wohl genauso viel an wie den Hund«, sagte Stilwind.
»Wuff, wuff«, machte Callie.
Stilwind lief rot an.
»Mr Stilwind«, sagte Daddy, »Sie bewegen sich hier ohnehin schon auf dünnem Eis. Wenn Sie noch einmal so mit Rosy sprechen oder noch eine abfällige Bemerkung über meine Tochter machen, und sei es auch nur eine Andeutung, dann vergesse ich, dass Sie zwanzig Jahre älter sind als ich, und Sie werden vielleicht nie wieder aufstehen.«
»Falls Sie mir drohen wollen, wird das die Polizei erfahren.«
»Ich begrabe Ihren piekfeinen Arsch zusammen mit Ihrem schicken Anzug in meinem Hinterhof, und dann pflanze ich einen gottverdammten Kaktus obendrauf.«
Ich musste lachen. Daddy blickte mich scharf an, und ich verstummte. Mr Stilwind saß einen Moment lang mit hochrotem Kopf da und schnappte nach Luft. Schließlich beruhigte er sich. »Also gut«, sagte er. »Kommen wir zur Sache. Mein Sohn hat mir erzählt, was er getan hat. Er schämt sich dafür. Nehmen wir an, es war seine Schuld ...«
»Es ist seine Schuld«, sagte Daddy.
»Meinetwegen. Ich bin bereit, mich an seiner Stelle zu entschuldigen und eine Wiedergutmachung für Ihre Unannehmlichkeiten zu leisten, damit die Geschichte nicht nach außen dringt.«
»Eine Wiedergutmachung?«, fragte Daddy.
»Einen Geldbetrag.«
»Sie wollen Callie Geld geben, damit sie nichts sagt?«
»Die Polizei wird sich nicht in diese Angelegenheit einmischen«, sagte Stilwind. »Das kann ich Ihnen versichern. Ich kenne die Beamten sehr gut. Sowohl der Polizeichef als auch sein Vorgänger als auch der junge Mann, der den Posten aller Voraussicht nach übernehmen wird, sind gute Freunde von mir. Ich hatte immer ein hervorragendes Verhältnis zur Polizei.«
»Sie bezahlen dafür, dass sie gute Freunde sind«, sagte Daddy. »Ist es das,
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