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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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Buster, während er mit einem weichen Lappen über die Projektorlinse rieb.
    »Ja.«
    »Na so was. Er ist ganz schön alt, oder?«
    »Allerdings. Nicht gerade steinalt, aber auf jeden Fall älter als Daddy.«
    »So alt wie ich?«
    »Nein, Sir. Ich glaube nicht.«
    »Hat auch kaum jemand so viele Jahren auf dem Buckel wie ich. Und ich sag dir was, langsam spür ich’s in den Knochen. Dieser Weg zur Arbeit setzt mir immer mehr zu. Inzwischen muss ich zwanzig Minuten früher losgehn, damit ich mich unterwegs hinsetzen und ein bisschen verschnaufen kann.«
    »Buster?«
    »Ja, Stan?«
    »Und wenn es doch nicht der Vater war?«
    »Wenn was nicht der Vater war?«
    »Wenn es nun James getan hat? Und nicht Mr Stilwind?«
    »Du hast mal wieder nachgedacht, stimmt’s?«
    »Wissen Sie noch, was Sie mir über Margrets Briefe gesagt haben?«
    Buster stopfte den Lappen in seine Gesäßtasche und ließ sich auf den Stuhl hinterm Projektor fallen. »Was genau meinst du?«
    »Mein erster Gedanke war, dass Margret mit James gegangen ist. Ich dachte, J steht für James, aber es stand für Jewel.«
    »Das lag ja auch nahe, Stan. Die meisten lieben das Gegenteil von sich, nicht das Gleiche.«
    »Dieser Bericht, den Sie mir vorgelesen haben, vom Polizeichef – hat Susan ausdrücklich gesagt, dass ihr Vater sich an ihr vergriffen hat?«
    »Ich hab doch gesagt, dass es auch anders gewesen sein könnte, nicht wahr, Stan?«
    »Stimmt.«
    Buster kratzte sich am Kinn und zertrat einen Käfer, der über den Fußboden krabbelte. Dann sagte er: »Du meinst also, wenn im Bericht nicht drinsteht, dass sie ihren Vater gemeint hat, dann könnte es auch James getan haben ... Weißt du, das kann schon sein. Vielleicht hat James erst die eine Schwester geschwängert, dann die zweite. Alt genug war er ja. Jetzt ist er fast vierzig und benimmt sich immer noch wie ’n Halbwüchsiger, so wie er deine Schwester hinters Licht geführt hat ... Susan kann auch ihren Bruder gemeint haben. Der Alte ist einfach zur Polizeiwache gegangen, um die Sache aus der Welt zu schaffen, genau wie er’s heute mit deiner Familie versucht hat. Manchmal ist einem Mann der Sohn wichtiger als die Tochter. So kann es gewesen sein.«
    »Daddy glaubt, dass es Stilwind gar nicht um James geht. Er wollte sich bloß die Peinlichkeit ersparen.«
    »Da hat dein Daddy wahrscheinlich recht, Stan. Jetzt glaubst du also, dass es James war und nicht der Vater?«
    »Vielleicht.«
    »Hast du dir je überlegt, dass es der Daddy bei der einen, der Bruder bei der andern gewesen sein könnte? Oft verhalten sich die Leute so, wie sie es in der Familie gelernt haben. Niemand kann mir erzählen, dass der alte Stilwind eine weiße Weste hat, so wie der sich verhält. Es spricht sogar alles eher dagegen. Möglicherweise hat James rausgefunden, dass sein Vater sich mit der älteren Schwester vergnügt hat, und er hat sich’s von ihm abgeguckt und das Gleiche mit der jüngeren gemacht. Aber hör gut zu, ich behaupte nicht, dass es so gewesen sein muss. Ich versuche nur, dir beizubringen, alles von mehreren Seiten aus zu betrachten. Deswegen soll man Leute ja auch vor Gericht stellen, anstatt sie zu lynchen. Oft sind die Dinge genau so, wie sie aussehn, aber manchmal eben auch nicht.«
    »Was bedeutet ›lynchen‹?«
    »Für die meisten bedeutet es einfach Aufhängen. Aber für uns Farbige bedeutet es auch Verbrennen, Kastrieren, Foltern. Die Polizei macht es oft so: Wenn sie den Täter nicht finden können, dann ziehn sie einfach los und schnappen sich einen Nigger. Manchmal war’s der Nigger auch. Manchmal nicht. Deswegen braucht man eben ein Geschworenengericht und nicht bloß wilde Verdächtigungen. Verstehst du, man kann es immer in alle Richtungen drehn, sogar wenn man ein paar Beweise hat. Manchmal beweisen die bloß, was man sehen will. Außer wenn du den Mistkerl auf frischer Tat ertappst oder er dich bedroht, so wie Bubba Joe.«
    »Ja, Sir.«
    »Ich war mal bei einem Lynchmord dabei.«
    »Echt?«
    »Jepp. Drüben in Nacogdoches. Neunzehnhundertzwo war das. Ein Nigger namens Jim Buchannon. Er soll ’nen Mann und seine Frau ermordet haben, glaub ich. Hat ihnen angeblich ein Gewehr geklaut. Und er hatte wirklich ein Gewehr. Hat behauptet, er hätte es ’nem Weißen abgekauft. Hat er ja vielleicht auch. Oder er hat die weißen Leute umgebracht. Ich kann’s dir nicht sagen.
    Ich war nur auf Durchreise, wollte grad ’nen Vetter besuchen. Genau an dem Tag, als der Kerl gehängt werden soll,

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