Ein feuriger Gentleman: Roman (German Edition)
bemühte sich, nicht zu hart zu klingen, als sie sagte: »Meine liebe Alice, ich denke, Sie verraten mir besser, was Moira zu Ihnen gesagt hat – was sie Ihnen noch über Roger erzählt hat. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass, was auch immer es war, sie Sie angelogen hat.«
Hoffnung wallte in Alice auf, das konnte man an ihren Augen ablesen, aber sie wusste nicht, ob sie ihr trauen konnte. Sie schaute Clarice mit schmerzlichem Gesichtsausdruck an und blickte dann zu ihrer Mutter. Schließlich ergriff sie Clarice’ Hand und zog sie mit sich ein paar Schritte von der Chaiselongue fort.
Alice ließ Clarice’ Hand nicht los, drückte sie.
»Sie haben gesagt, Sie seien seit Jahren nicht in London gewesen. Wenn dem so ist, wie können Sie sich da sicher sein, Roger wirklich gut zu kennen?«
Clarice lächelte beruhigend.
»Teilweise beehre ich nicht länger die gute Gesellschaft mit meiner Anwesenheit, weil ich praktisch mit meinen Brüdern aufgewachsen bin – unser Verhältnis war enger als üblich. Das war vermutlich nicht klug, aber bis ich sechzehn wurde, habe ich so viel Zeit wie nur möglich mit ihnen verbracht. Ich kenne sie alle drei daher ausgesprochen gut.«
Alice sah Clarice an, in deren Augen sich die Zuneigung zu ihren Brüdern, die Erinnerung an diese schöne Zeit widerspiegelte, und Alice erkannte die Wahrheit. Sie zögerte, schaute Clarice noch einmal eindringlich an, dann holte sie tief Luft und flüsterte gepresst:
»Moira sagt, er habe eine Vorliebe für Jungen.«
»Was?« Clarice gelang es nur mit Mühe, ihren empörten Ausruf zu dämpfen. Sie stellte sich mit dem Rücken zu den Gästen und drückte Alice die Hand. »Entschuldigung. Ich …« Verblüfft schüttelte sie den Kopf. Dann biss sie die Zähne zusammen und blickte Alice in die großen flehenden Augen. »Moira hat sich das ausgedacht. Es ist völlig aus der Luft gegriffen und schlicht falsch, eine boshafte Lüge. Nun …« Sie holte tief Luft und drehte sich um, bedeutete Alice mit einer Handbewegung, Roger anzusehen, der mit Alton und Jack auf der anderen Zimmerseite stand.
»Roger ist durch die Hölle gegangen, weil er dachte, er habe Sie verloren; monatelang hat er versucht, Sie zurückzugewinnen. Das, Alice, ist nicht das Verhalten eines Mannes, der in Wahrheit Jungen vorzieht.«
Allein die Worte auszusprechen bereitete ihr Übelkeit. Wie konnte Moira es nur wagen, sich so etwas auszudenken?
Alice schaute zu ihr auf, und ihre Züge klärten sich; aus ihrer Miene wich die Niedergeschlagenheit, machte Vertrauen und Freude Platz. Clarice fühlte sich hin- und hergerissen. Sollte sie ihren Brüdern sagen, welches Gift Moira versprüht hatte? Oder wäre es besser, Stillschweigen zu bewahren?
Alice zog an ihrer Hand, um ihre Aufmerksamkeit zu erringen. »Ich … ich bin so glücklich« – sie schluckte – »oder beinahe. Ich liebe Roger so sehr, und ich war so unglücklich, aber… wie kann ich ihm je gegenübertreten, ohne ihm zu sagen, was ich geglaubt habe?«
Clarice ließ Alice’ Hand los und reckte das Kinn.
»Ich werde es ihm sagen. Ich werde ihm erklären, wie Sie sich gefühlt haben, und sorge dafür, dass er es versteht … es ist ja beileibe nichts, was eine Dame einen Herrn fragen kann.«
Sie sah Alice in die Augen, sah die Freude darin auflodern wie eine Fackel in der Dunkelheit. »Ich werde jetzt gleich zu ihm gehen und ihn dann zu Ihnen schicken. Danach… nun, sein Herz liegt in Ihren Händen. Enttäuschen Sie mich nicht.«
Alice begann zu lächeln und blinzelte ein paar Tränen fort.
»Oh, ganz bestimmt nicht, Lady Clarice. Ich verspreche Ihnen, ich werde ihn immer lieben.«
»Einfach Clarice reicht, wenn wir Schwägerinnen sein werden.« Sie schaute zu Roger, tätschelte Alice den Arm. Dann sah sie sie ein letztes Mal an, lächelte und wandte sich zum Gehen. »Oh!« Sie drehte sich noch einmal um und blickte Alice in die Augen. »Eine letzte Sache noch. Seien Sie besonders vorsichtig, wenn es um Moira geht. Das wird ihr nicht gefallen. Sie sind
gut beraten, Ihre Eltern ins Vertrauen zu ziehen, nachdem Roger offiziell um Sie angehalten hat und Sie seinen Antrag angenommen haben, was im Übrigen besser früher als später geschehen sollte. Erzählen Sie ihnen, zu welchen Mitteln Moira greifen kann. Man darf ihr auf keinen Fall vertrauen.«
Alice’ Augen wurden schmal, ihre Lippen fest.
»Wenn Roger und ich heiraten, werde ich mich von Moira fernhalten.«
Unter Alices
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