Ein feuriger Gentleman: Roman (German Edition)
ein so ruhiges und zurückgezogenes Leben, dass mein Haus die perfekte Lösung zu sein schien. Fast wie die Nonnenklöster früherer Zeiten, in die man die störrischen jungen Damen zu stecken pflegte, damit sie die Richtigkeit ihrer Entscheidungen noch einmal überdenken konnten.«
Langsam kehrte James’ Lächeln zurück. »Zur nicht geringen Überraschung aller war Clarice einverstanden.«
Jack warf James einen Blick von der Seite zu.
»Kanntest du sie? Kannte sie dich?«
»Ja, aber wir hatten uns nur ein paar Mal bei Familientreffen gesehen. Trotzdem und obwohl ich uns nicht unbedingt als verwandte Seelen bezeichnen würde, haben wir beide den jeweils anderen als angenehme Gesellschaft empfunden. Und wir kommen recht gut miteinander aus.«
Jack konnte sich das nicht vorstellen, nicht für sich.
»Du findest es nicht störend, so eine … junge Dame« – eine so streitlustige und schlachterprobte Kriegerkönigin – »ständig um dich zu haben?«
»Nein, überhaupt nicht. Clarice ist zwar nicht unbedingt ein zurückhaltender Mensch, aber es hat doch entschiedene Vorteile, wenn der Haushalt von einer derart kompetenten Frau geführt wird. Und wie ich bereits sagte, sie hat sich um all die Probleme und Fragen gekümmert, die in deines Vaters und deiner Abwesenheit auftraten und mir übertragen worden waren. Ihre Anwesenheit hier ist eine echte Wohltat, ein Segen.«
Jack verstand, was er meinte. James war oft geistesabwesend und konnte für längere Zeit derart in seiner Arbeit versinken, dass er von seiner Umgebung so gut wie nichts mitbekam, aber verärgert reagierte, wenn man ihn störte.
Sie kamen zu den Stufen, die zum Eingang führten. Jack blieb stehen.
»Also… nachdem sie ausreichend Heiratsanträge erhalten hatte – drei Versuche, alles furchtbare Fehlschläge, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – hat Clarice sich hierher zurückgezogen und den romantischen Träumen junger Frauen mehr oder weniger den Rücken gekehrt.«
James stellte sich mit nachdenklicher Miene neben ihn, schaute am Haus hinauf, in dem das Objekt ihrer Unterhaltung zweifellos mit irgendetwas beschäftigt war.
»Meinst du?«
Jack schaute ihn an.
James starrte mit leerem Blick. »Weißt du, ich habe es immer andersherum betrachtet. Sie hat sich nicht von der Liebe abgewandt, sondern einer lieblosen Welt den Rücken gekehrt.«
Jack dachte einen Augenblick darüber nach, dann sah er zur Eingangstür.
»Vielleicht.« Ein weiterer Moment verstrich. »Ich mache mich besser auf den Rückweg zum Herrenhaus.«
James klopfte ihm auf die Schulter, dann trennten sie sich. Immer noch gedankenverloren schritt Jack die Auffahrt hinab.
Für Clarice verflog der Nachmittag zu rasch, an dem zahllose Aufgaben und Pflichten an sie herangetragen wurden. Mrs. Swithins, die Mutter des Hilfsgeistlichen, wollte mit ihr erneut über die Blumenausstattung für die Kirche sprechen. Später kam Jed Butler aus dem Dorfgasthaus vorbei, um zu hören, was sie von den geplanten Umbauten des Schankraumes hielt.
Es war beinahe vier Uhr, und die Schatten begannen sich zu einem dunstigen Lila zu verfärben, als sie sich einen leichten Schal um die Schultern legte und sich auf den Weg nach Avening Manor machte, um nach dem jungen Mann zu sehen.
Und wenn Warnefleet da war, wusste sie nicht, ob sie sich entschuldigen und ihren Irrtum eingestehen sollte, dass sie ihn für einen vergnügungssüchtigen uninteressierten Grundbesitzer gehalten hatte.
Und sie wusste immer noch nicht, welche Rolle er im Krieg gegen Napoleon gespielt hatte, aber sie kannte James’ Interesse an Militärangelegenheiten, um es zu erraten.
Warnefleet war eine Art Spion gewesen, aber nicht einer, der beobachtete und darüber berichtete, sondern jemand, der aktiv etwas unternahm – ein Agent, war das die richtige Bezeichnung?
Anhand seines Auftretens schätzte sie ihn jedenfalls so ein.
Die Ironie der Situation entging ihr nicht. Den einzigen Grund, den sie als Rechtfertigung für eine Vernachlässigung seiner Aufgaben gelten lassen würde, war, dass ein Mann seinem Land aufopferungsvoll in einer gefährlichen Mission diente. Für ihren Stand gab es nur eine Pflicht, die noch wichtiger war als die Verantwortung für die Menschen auf ihren Ländereien: die Pflicht dem eigenen Land gegenüber.
Sie war dazu erzogen worden, große Besitzungen zu verwalten und einen gewissen Verhaltenskodex zu wahren, der auf dem Grundsatz »Adel verpflichtet« basierte.
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