Ein feuriger Gentleman: Roman (German Edition)
her?«
James grinste und ging weiter. »Zwei Monate nach dem Tod deines Vaters. Es war im Grunde genommen sehr günstig.«
»Günstig?«
»Nun.« James verzog das Gesicht. »Dein Vater ist immer eine Stütze für das ganze Dorf gewesen. Sein Wort war Gesetz, nicht unbedingt nur im juristischen Sinn. Alle haben sich auf seinen Rat verlassen und mehr noch auf sein Urteil, seinen Schlichterspruch, wenn du so willst, bei größeren und kleineren Streitigkeiten. Die Leute hatten sich daran gewöhnt, sich auf ihn zu verlassen, aber dann war er plötzlich nicht mehr da – und du warst ebenfalls nicht erreichbar.«
Jack schaute ihn an.
»Aber du warst doch hier.«
James seufzte.
»Ich fürchte, mein lieber Junge, dass ein Lehrauftrag für das Balliol-College einen nicht notwendigerweise dazu befähigt, in die Fußstapfen deines Vaters zu treten. Zu dem Zeitpunkt, als Clarice eintraf, herrschte praktisch ein heilloses Durcheinander.«
Jack wunderte sich.
»Und sie hat alles wieder in Ordnung gebracht?«
»Ja. Im Gegensatz zu mir«, James lächelte selbstironisch, »ist sie dazu erzogen worden, in diese Rolle zu schlüpfen.«
Jacks Verwunderung nahm zu.
»Sie hat erwähnt, dass sie Meltons Tochter sei.« Was also tat sie hier?
»In der Tat. Melton, ihr Vater, war einer meiner Cousins. Mein Vater war der jüngere Bruder seines Vaters.«
Als James weiter nichts dazu sagte, schwieg auch Jack und wartete ab.
Schließlich lachte James leise.
»Also gut, obwohl es aus heutiger Sicht eine alte Geschichte ist. Clarice war Meltons viertes Kind von seiner ersten Frau, die einzige Tochter aus der Verbindung. Ihre Mutter Edith war eine beeindruckende Frau, eine echte Grande Dame .«
Vermutlich deshalb hatte Boudicca eine so starke Persönlichkeit.
»Edith ist an einem Fieber gestorben, als Clarice noch jung war. Vier oder fünf Jahre, genau erinnere ich mich nicht. Melton hat wieder geheiratet und mit seiner zweiten Frau einen Haufen Töchter gezeugt und schließlich einen vierten Sohn, viel weiß ich nicht über die Kinder. Nichtsdestotrotz wäre Clarice’ Leben vermutlich nach dem vorgezeichneten Muster verlaufen, schließlich mangelt es nie an Familien, die darauf aus sind, sich mit einem Marquis zu verbinden, wenn sie sich nicht im Alter von sechzehn Jahren in den Sohn eines Nachbarn verliebt hätte, der beim Militär war. Nicht unbedingt das, was Melton vorschwebte, aber der Bursche war Erbe eines recht ordentlichen Besitzes, daher erlaubte Melton Clarice, ihn zu ermutigen. Alles gut und schön, aber dann ging der junge Mann nach Spanien und starb dort in einem Gefecht. Clarice war am Boden zerstört. Statt in London bei Hof vorgestellt zu werden und ihr Debüt zu machen, verbrachte sie die nächsten Jahre ruhig und zurückgezogen auf Rosewood, Meltons Stammsitz.«
»Und was hat sie dann hierher geführt?«
»Ah, wir sind doch erst höchstens bei der Hälfte der Geschichte angekommen.« James machte eine Pause, ordnete seine Gedanken und fuhr dann fort: »Wie gesagt, es hat nie einen Mangel an Gentlemen gegeben, die an Meltons Vermögen interessiert waren. Clarice ist sechs Jahre älter als ihre nächstjüngere Schwester. Ein Schurke namens Jonathan Warwick hörte von Clarice. Er ging nach Rosewood und stellte ihr nach, war aber gerissen genug, seine wahren Absichten zu verschleiern.«
»Ich erinnere mich an Warwick.« Jack hörte die Härte, die sich in seine Stimme geschlichen hatte. »Wir haben uns vor langer Zeit getroffen, als ich in der Stadt lebte, ehe ich mich verpflichtet habe. Selbst damals wäre ›Schurke‹ noch eine freundliche Umschreibung gewesen.«
»Stimmt. Zu dem Zeitpunkt, als er sich an Clarice heranmachte, waren Warwicks Besitzungen bis unters Dach mit Hypotheken belastet, er wurde von allen Seiten mit Mahnungen überhäuft, aber er sah attraktiv aus und spielte den gut betuchten, durch und durch begehrenswerten Junggesellen. Und er wusste genau, wie er aus seinem hübschen Gesicht maximalen Profit schlagen konnte.«
Jack merkte sich, dass er, sollte er Warwick jemals wieder begegnen, seinem hübschen Gesicht ein neues Aussehen verpassen würde.
»Soweit ich gehört habe, trieb Warwick es mit Clarice so weit, dass er, als er Melton um Erlaubnis bat, sie zu heiraten, sofort hinausgeworfen wurde. Warwick gelang es, Clarice zu überreden, mit ihm durchzubrennen. Natürlich hatte Warwick nicht ernsthaft vor, diesen Plan in die Tat umzusetzen, denn er wollte keinesfalls seinen Zutritt zu
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