Ein feuriger Gentleman: Roman (German Edition)
wundern, was um alles in der Welt hier vor sich ging – warum seine normalerweise verlässlichen und übertrieben korrekten Bediensteten mit einem Mal der Ansicht waren, dass es eine gute Sache sei, dass ein Mitglied der Dienerschaft ein Dieb war.
Es gab nur einen Weg, eine Antwort darauf und auf alles andere zu erhalten, das ihn in den vergangenen vierundzwanzig Stunden geplagt hatte. Und es brachte gewiss nichts, noch länger zu trödeln. Ihm war noch kein perfekter Weg eingefallen, Boudicca anzusprechen, ohne dass er sich ihren Zorn zuzog;
vielleicht war dieses letzte Problem der Ausweg aus seiner misslichen Lage. Wenn sie ihm erklären musste, warum er einen Dieb unter seinen Dienern hatte, würde sie vielleicht das Nachsehen haben.
Bei ihr würde er Hilfe von jedem und allem annehmen.
Er machte sich auf den Weg zum Pfarrhaus. Einem Impuls folgend verließ er, nachdem er durch das Tor von Avening Manor gekommen war, die Straße und ging durch die Lücke in der Hecke. Er fragte sich, ob Clarice erraten hatte, von wem diese Lücke stammte. Als Junge war er verrückt nach Militär und Soldaten gewesen, und James war zwar nicht sein Idol gewesen, aber doch jemand, der ihn inspiriert hatte. Mit dem Segen seines Vaters hatte er zahllose Nachmittage zu James’ Füßen hockend verbracht und gebannt seinen Schilderungen dieser Schlacht und jenes Feldzuges gelauscht. Strategisches Denken hatte er von James gelernt, ebenso wie einen großen Teil des Verständnisses und der Geduld, die ihn dazu befähigt hatte, die letzten dreizehn Jahre zu überleben.
Er ging an der Eiche vorbei und überquerte das Feld, während er in Gedanken ganz mit seinen Fragen beschäftigt war. Als er zu dem Durchgang in der Hecke kam, schaute er auf.
Eine Bewegung zu seiner Linken lenkte seinen Blick dorthin. Das Haus lag rechts von ihm, die Gärten dahinter erstreckten sich bis zu mehreren Gemüsebeeten am Ende des Grundstückes. Zwischen ihnen und der schattigen Rasenfläche lag ein Grasstreifen, der von der Sonne beschienen war und über den Wäscheleinen gespannt waren. Die Bewegung, die er aus den Augenwinkeln bemerkt hatte, war ein Laken gewesen, das jemand glatt strich, abnahm und zusammenlegte.
Es war Boudicca.
Die Vorstellung, dass die Tochter eines Marquis Wäsche abnahm, faszinierte ihn, und er schlug ihre Richtung ein, ehe er nachdenken konnte. Die Wäscheleine war weit genug vom
Haus entfernt, damit sie ungestört sein konnten. Zu dieser Stunde war es unwahrscheinlich, dass jemand im Küchengarten dahinter war.
Sie hörte seine Schritte und schaute auf. Ihre Blicke trafen sich. Ihre Miene wurde kühl und ausdruckslos wie eine Marmormaske, unergründlich und undurchschaubar … ein Schutzwall. Sie griff nach der nächsten Wäscheklammer und schüttelte den Kopfkissenbezug aus.
Innerlich seufzte er und ging um die gespannte Leine herum zu der Stelle, wo eine niedrige Steinmauer die Rasenfläche von den Gemüsebeeten trennte.
»Guten Morgen, Lady Clarice.«
»Guten Morgen, Lord Warnefleet. James finden Sie wie gewohnt in seinem Studierzimmer.«
Er unterdrückte eine unwillkürliche Reaktion auf ihre kühle und abwehrende Begrüßung und setzte sich ein Stück weit entfernt auf die Mauer.
»Ich bin gekommen, um Sie zu sehen.«
Darauf erwiderte sie nichts.
Er beobachtete, wie sie den Kissenbezug zusammenfaltete und in einen Korb zu ihren Füßen legte. Als sie nach der nächsten Klammer griff, fragte er: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu sagen, warum ich in meinen Diensten den Lakai Edward habe, der aus London stammt und offenbar ein Dieb ist?«
Sie warf ihm einen rätselhaften Blick zu und schaute dann wieder auf die Wäsche vor sich.
»Er ist Griggs’ Neffe.«
Jack blinzelte verwirrt. Eine Antwort, mit der er überhaupt nicht gerechnet hatte.
»Griggs’ Neffe?« Griggs war so ehrlich und korrekt, wie man es sich nur wünschen konnte.
»Sein einziger lebender Verwandter.« Nachdem sie ein widerspenstiges
Laken erfolgreich zusammengefaltet hatte, sprach sie weiter. »Griggs hat vor etwa zwei Jahren die Nachricht erhalten, dass seine Schwester gestorben war. Er machte sich Sorgen um ihren Jungen, ihr einziges Kind. Der Vater war nicht lange genug bei ihr geblieben, um die Vaterschaft anzuerkennen.« Sie legte das nächste Wäschestück zusammen und schaute Jack ins Gesicht. »Griggs ist alt. Er hat sich solche Sorgen gemacht, sich so aufgerieben, dass wir uns um seine Gesundheit zu sorgen begonnen haben.
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