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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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Träume, erschöpft von einem außergewöhnlich aufreibenden Tag. Zwar blickte er noch aufs Feuer, aber aus einer anderen Perspektive, von ganz weit oben, aus den Wolken. Unter ihm brannten Häuser, Städte, ganze Landstriche, blutrote Flammen verzehrten alles Lebendige, walzten über alles von Menschenhand Errichtete hinweg und hinterließen nichts als schwarze Schlacke. Entsetzt blickte er hinab auf dieses Szenario, und wieder hörte er Stimmen, die zu ihm sprachen, nein, schrien, schrille Schreie der Verzweiflung. Göring hielt sich die Ohren zu.
    »Nun machen Sie schon«, raunzte der Führer ungeduldig.
    Der Reichsfeldmarschall schreckte hoch und schaute irritiert zur Seite. War Hitler aufgefallen, dass Göring im Stehen eingenickt war? Zumindest ließ der Führer sich nichts anmerken, glotzte grimmig in den Kamin, ohne seinen Kampfgefährten auch nur eines Blickes zu würdigen.
    »Ich habe dem Feuer etwas Zeit gegeben.«
    Göring war erleichtert, dass sich Hitler die Version des Wahrsagers wenigstens angehört hatte. Bisher gab es leiderkeine belastbaren Informationen aus Belgien über den Verbleib der Dokumente. Nur das Gefasel eines Vatermörder tragenden Scharlatans. Immerhin war Hitler bereit gewesen, die Situation im belgischen Polizeirevier so, wie sie Heermann geschildert hatte, nachzustellen. Wie viel würde auf einer bedruckten Seite noch zu lesen sein, wenn sie für ein paar Sekunden im Feuer lag? Als Testobjekt für das häusliche Experiment dienten veraltete Dokumente des Forschungsamtes. Göring warf die Seiten in die Flammen, beobachtete, wie sie eine vernichtende Spur durch die Druckerschwärze zogen, und angelte die Papiere mit spitzen Fingern wieder heraus.
    »Verflucht«, sagte er, weil er sich dabei verbrannt hatte, und ließ die glimmenden Seiten auf den Boden fallen. Hitler trat die Funken mit den Stiefeln aus. Göring hob die Papiere auf, legte sie auf den Tisch und beugte sich darüber. Der Führer leistete ihm Gesellschaft, hielt dabei aber Distanz.
    »Kaum zu erkennen«, frohlockte Göring. »Damit kann niemand etwas anfangen.«
    »In der Tat«, sagte Hitler. »Das meiste ist zerstört, vollkommen unleserlich.«
    Sie starrten schweigend und leicht vornübergebeugt auf die halbverkohlten Seiten. Mehrere Minuten vergingen. Dann richtete sich Hitler auf.
    »Was tun wir hier eigentlich?«, fragte er scharf.
    Göring wurde blass.
    »Wir, wir …«, stotterte er.
    »Wir sind dabei, unsere Entscheidung über den Angriff im Westen von den Aussagen eines dubiosen Wahrsagers abhängig zu machen. Wenn wir das ernst nehmen, dürfte man zu Recht an unserem Verstand zweifeln. Beinahe hätten Sie mich in Teufels Küche gebracht, Göring.«
    »Tut mir leid«, sagte der Reichsfeldmarschall kleinlaut. »Und was jetzt?«
    »Jetzt unternehmen wir das Einzige, was wir in dieser Situation tun können. Der Angriff wird verschoben.«
    Hitler wandte sich brüsk ab und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Göring war am Boden zerstört. Der Führer würde diese Blamage natürlich ihm anlasten. Ihm allein. Es war immer dasselbe. Wenn nicht irgendetwas Brauchbares geschah, blieb ihm tatsächlich nur Hansen. Dieser Geistesgestörte musste ihm unbedingt Hitlers Sohn herbeischaffen. Egal, wie lange es dauern mochte. Der Wahnsinn hier war noch lange nicht vorbei. Da war jede Unterstützung willkommen. Mit dem kleinen Hosenscheißer hoffte Göring die Gunst des Führers zurückzuerobern. Für die nächsten tausend Jahre.

24.
B ERLIN
    14. Januar 1940
Eine leerstehende Wohnung
    Hansen stach wie von Sinnen auf sein Opfer ein, bohrte die Klinge wieder und wieder tief in den wohlgeformten nackten Brustkorb. Dieses Schwein hatte es nicht anders verdient, er hatte ihn besudelt, mit seinem Speichel, seinem Sperma, und dafür bezahlte er mit seinem Blut. Franz, so hieß der junge Mann, stierte aus gebrochenen Augen ins Nichts, in seiner Kehle verklang ein letztes Röcheln. Hansen sank erschöpft neben ihm aufs Bett, der nackte Oberkörper voller Blutspritzer, die Hände rotverschmiert. Er atmete schwer, war berauscht von seinem Ausbruch, seiner Wildheit. Was mochte Franz gedacht haben, als Hansen über ihn gekommen war wie ein tollwütiges Tier? Nicht viel wahrscheinlich. Wie wollte er auch das Unbegreifliche verstehen? Hansen begriff es ja selbst kaum, diesen Wahnsinn, der in ihm wohnte und beständig heranwuchs zu einem Ungetüm, das sich Luft verschaffen musste, damit es sich nicht selbst zerstörte.
    Nach seiner

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