Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Trotz seines Dünkels.
»Wissen Sie, um was für ein Gift es sich handelt?«
Krauss schüttelte den Kopf.
»Wie lange wirkt es schon?«
»Etwa zwölf Stunden.«
»Dann kann es kein Curare sein. Das tötet in Sekunden. Wahrscheinlich ist es ein Froschgift. Wenn Sie Glück haben, hat es einen Teil seiner Kraft verloren. Sehen Sie, die pflanzlichen Gifte wie Curare werden erst gekocht. Die Indianer schmieren den Sud warm auf die Pfeile. Wenn das Zeug getrocknet ist, bleibt es jahrelang haltbar. Es verliert in dieser Zeit nichts von seiner todbringenden Wirkung, es sei denn, es ist zwischendurch feucht geworden. Dann können sich Pilze ansiedeln und den Sud zersetzen. Bei den tierischen Giften bin ich mir nicht sicher. Es kann sein, dass sie schneller zerfallen.«
Schulz-Kampfhenkel schien eine Eingebung zu haben.
»Ich besitze immer noch meine Bayer-Apotheke. Darin waren auch einige Gegengifte. Natürlich ist das Serum mittlerweile ebenfalls mehr als drei Jahre alt und wahrscheinlich nutzlos. Aber etwas Besseres kann ich Ihnen nicht bieten. Folgen Sie mir.«
Er ging voraus in einen mindestens genauso vollgerümpelten Nachbarraum. Krauss erschien das Chaos noch größer,vielleicht, weil das Zimmer kleiner war. Schulz-Kampfhenkel schob vorsichtig einige der Mitbringsel beiseite, zog eine metallene Kiste hervor und tätschelte mit der Hand den Deckel.
»Der Inhalt hat mir und meinen Kameraden oft das Leben gerettet. Die Bedingungen am Amazonas sind mörderisch. Stechmücken, die schlimmes Fieber auslösen, Blutegel, die einem den Saft aussaugen, und mindestens ein Dutzend Krankheiten, von denen Sie noch nie etwas gehört haben. Dafür muss man aus dem richtigen Holz geschnitzt sein.«
Krauss lief die Zeit davon, und dieser bornierte Vogel fing an, von seinen Buscherlebnissen zu schwärmen. Am liebsten hätte er ihm die Kiste aus den Händen gerissen. Schulz-Kampfhenkel öffnete den Deckel.
»Mal sehen. Das ist es nicht. Das auch nicht. Aber hier.« Er reichte Krauss drei Ampullen. »Das soll gegen Froschgifte helfen. Wir mussten es glücklicherweise nie benutzen. Injizieren Sie es der betroffenen Person. Aber wie gesagt. Ob es hilft, weiß ich nicht. Mehr kann ich nicht tun.«
»Gut. Vielen Dank. Ich muss mich beeilen.«
Schulz-Kampfhenkel begleitete ihn zur Tür.
»Eine Sache noch, Hauptsturmführer Kreidler«, sagte er. »Nehmen Sie sich in Acht vor Hansen. Er nutzt jede Schwäche skrupellos aus. Wissen Sie, meine Kameraden und ich haben Hansen im Dschungel mit einem gefährlichen Tier verglichen. Menschliche Maßstäbe dürfen Sie an ihn nicht anlegen. Er kennt keine Moral. Nur seinen eigenen Vorteil. Wenn Sie ihm in die Quere kommen, wartet er auf seine Chance und schlägt unerbittlich zu.«
23.
B ERLIN
12. Januar 1940
Görings Stadtwohnung
Göring stierte vor dem Kamin seiner Berliner Stadtwohnung in die züngelnden Flammen. In der Hand hielt er einige Seiten bedrucktes Papier, offenbar unschlüssig, was er mit ihnen anstellen sollte. Neben ihm stand Adolf Hitler. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Keiner der beiden sagte ein Wort. Die Scheite knisterten und knackten, ab und zu flog ein Funke in den Rost, glühte kurz auf, erlosch. In unmittelbarer Nähe strahlte der Kamin eine wohlige, würzige Wärme ab, die sich schmeichelnd um die Körper der beiden Männer legte.
Göring konnte stundenlang ins Feuer starren; er genoss es, sich darin zu verlieren. Nach wenigen Minuten hatte er Hitler vergessen und versank in eine Trance, ließ es zu, dass sich die prasselnden Flammen zu Bildern verdichteten. Er sah Fackeln bis zum Horizont, einen Lindwurm aus Lichtern, der kein Ende zu nehmen schien. Sieben Jahre war das her, und auch damals hatte Hitler neben ihm gestanden, hatte an seiner Seite die Huldigungen des deutschen Volkes entgegengenommen. Niemals würde Göring diesen Moment vergessen, den Tag ihres Triumphs, den endgültigen Sieg über die Würdenträger der Weimarer Republik. Der 30. Januar 1933 war der Schluss- und Höhepunkt eines langen und zähen Kampfes um die politische Macht in Deutschland. Was hatten ihre Gegner nicht alles versucht, um sie hinauszudrängen aus dem Allerheiligsten, dem Deutschen Reichstag. Nicht einmal vor Verbannung und Haft schreckten sie zurück. Jedes Mittel war ihnen recht, aber sie hatten weder mit so viel Widerstand undBeharrlichkeit gerechnet noch mit dem Willen des Volkes, das so große Hoffnungen auf die Wiederauferstehung der deutschen Nation
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