Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
sich einlullen lassen, nicht auf seine Instinkte gehört. Zu spät. Oda war im Haus, sie schlief. Er würde es nicht rechtzeitig schaffen, sah immer mehr Männer aus dem Wald schleichen. Es blieb ihm keine Wahl. Er musste angreifen, Oda warnen. Ihr wenigstens eine kleine Chance ermöglichen. Krauss legte sich hin, benutzte einen Ast als Stütze für den Karabiner, visierte durch das Zielfernrohr einen Mann an. Nebel nahm ihm die Sicht, wurde auseinandergetrieben, gab die Schussbahn frei. Sein Opfer wartete am Waldrand, wahrscheinlich auf Befehle. Fadenkreuz auf der Brust. Das war weder die Jagd noch das Wild, das Krauss sich erhofft hatte. Nur das Töten blieb dasselbe. Krauss hielt kurz den Atem an und zog den Abzug durch.
Hansen bemerkte aus dem Augenwinkel, wie einer der Männer oberhalb von ihm hinfiel. Wahrscheinlich war er gestolpert. In der Natur bewegten sich diese Kerle dermaßen ungeschickt, dass Hansen es kaum mit ansehen konnte. Natürlich erschwerten der Schnee und die Dunkelheit das Vorwärtskommen, aber eine etwas bessere körperliche Koordination hätte er sich von seiner Truppe schon gewünscht. Am Amazonas wäre jeder dieser Burschen verloren gewesen. Sie fanden sich ja nicht einmal in der heimischen Flora zurecht. Und gegen den Dschungel war das hier ein gepflegter Park. Geradezu erbärmlich. Von der Stelle, an der sie das versteckte Auto freigeschaufelt hatten, waren sie in einer langen Reihe nebeneinander durch den Wald gezogen. Fünfundzwanzig Männer, verteilt auf vielleicht dreihundert Meter. So erhöhten sie die Wahrscheinlichkeit, auf das Versteck der Gesuchten zu treffen, und minimierten das Risiko, in eine Falle zu laufen.
Hansen wusste, dass dieser Einsatz über seine Zukunft beider SS entscheiden würde. Himmler hatte ihm das eindeutig zu verstehen gegeben. Diesmal durfte nichts schiefgehen. Obwohl ihm für das Kommando nur läppische fünfundzwanzig Männer bewilligt worden waren.
»Sorgen Sie diesmal dafür, dass Sie jeden Einzelnen von ihnen auch wieder zurückbringen«, hatte ihn der Reichsführer-SS ermahnt.
Hansen bezweifelte, dass er das bei dem Gegner würde garantieren können, und hatte geschwiegen. Himmler war so nahe an ihn herangetreten, dass er dessen muffigen Dunst riechen konnte. Seine Augen hinter den Brillengläsern blitzten hasserfüllt.
»Ich werde es nicht weiter zulassen, dass Sie die besten Männer des Landes ins Verderben schicken und ehrbare deutsche Frauen zu Witwen machen, nur weil Sie einem Phantom hinterherjagen. Merken Sie sich das. Da kann Göring so lange die Hand über Sie halten, wie er will. Wenn Sie versagen, ist Ihre Zeit bei uns beendet. Sie haben hier nichts verloren, und das wissen Sie. Ihre Heimat ist die Wildnis. Da können Sie sich nach Belieben im Dreck suhlen.«
Genau da wollte Hansen auch hin. Aber nicht, um sich im Dreck zu suhlen, wie es Himmler sich in seinem Spatzenhirn vorstellte, sondern um von dort aus Druck zu machen und seinen Plan zu vollenden. Der Sturm auf die Guyanas. Die Statthalterschaft. Es war möglich, davon war Hansen überzeugt. Wenn er Hitlers Jungen in Argentinien fand, konnte er alles verlangen. Deshalb hatte er sich ein Konzept zurechtgelegt, falls sein nächtliches Unterfangen scheitern sollte. Mit dem Postflieger von Potsdam nach Dresden, weiter mit dem Zug nach München, über Österreich nach Italien bis Genua. Dort legte in zwei Wochen ein Schiff nach Lissabon ab. Die notwendigen, selbstverständlich gefälschten Papiere besaß er bereits. Von Portugal aus würde es relativ leicht sein, Belemzu erreichen. Dann befand er sich auf vertrautem Territorium und konnte in Ruhe seine Geschäfte in Argentinien angehen. Hansen hatte den Plan bewusst so gestaltet, dass er mögliche Verfolger in die Irre führte. Aber das alles war nur eine Rückversicherung. Er hoffte, sie nicht in Anspruch nehmen zu müssen und den offiziellen Weg einschlagen zu können.
Während seine Männer eine Schneise durch den Wald trampelten, dachte Hansen darüber nach, welcher Teufel ihn ritt, seine mühsam erworbenen Privilegien leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Nun war er durch glückliche Fügungen so schnell so weit gekommen, weiter als er es je zu träumen gewagt hatte. Und dann fiel ihm nichts Besseres ein, als alles zu riskieren. Ohne Not. Er hatte doch, was er für seine Karriere brauchte. Wissen. Protektion. Innere Stärke. Warum jagte er so besessen diesem Mann hinterher? Krauss war eine unbedeutende Nebenfigur und würde ihnen
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