Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
zu sein.
Als der größte Sohn des Vaters Wissenschaft nach drei Wochen noch nicht zurück war, entschieden die Männer, dass Hansen als mittlerweile erfahrener Waldläufer ihn gemeinsam mit einigen Männern suchen solle. Er wählte Raimundo und Ernesto aus, ihnen traute er am meisten zu. Eine Woche später fanden sie Schulz-Kampfhenkel und dessen Trupp ausgehungert und abgemagert ein paar Kilometer den Fluss hinauf, in einem notdürftigen, aus Zweigen und Blättern errichteten Lager direkt am Ufer. Das Boot seines Chefs war gekentert, leckgeschlagen und gesunken mitsamt der kompletten Ausbeute ihres Ausflugs. Alles hatte der Fluss geschluckt, Tiere und Pflanzen, Filme und Kamera, Medikamente und Proviant. Zudem war Schulz-Kampfhenkel am Bein verletzt, einen Marsch durch den Dschungel hätte er nicht überlebt. Hansen traf zur rechten Zeit ein, und er meinte die Dankbarkeit in den Augen des havarierten Entdeckers zu erkennen. Schulz-Kampfhenkel war der glücklichste Pechvogel, der Hansen jemals untergekommen war. Was das Leben manchmal für kuriose Kapriolen bereithielt. Erneut war er mit seinem Schulfreund im Wald unterwegs, und wieder hatte er ihn vor größerem Unheil bewahrt. Schulz-Kampfhenkel würde ihn nicht noch einmal wortlos sitzen lassen, weil er wusste, dass zwischen ihnen eine Art symbiotischer Verbindung existierte – sie brauchten einander, um in diesem Leben zu bestehen.
Glücklich zurück im Lager erwartete sie die nächste Aufregung. Kahle hatte eine sieben Meter lange Anakonda erlegt, die vielleicht furchteinflößendste Schlange des Amazonas, diesich darüber hinaus nicht in ihrer Sammlung befand. Das Tier war den Indianern allerdings noch heiliger als der Jaguar, so dass Funkstille zwischen den Lagern herrschte. Kahle winkte nur herablassend ab.
»Die werden sich wieder beruhigen«, sagte er und präsentierte stolz die abgezogene Haut des Riesentiers. Im Magen der Anakonda hatte Krause ein fast unverdautes Schwein gefunden. Dem geschwächten Schulz-Kampfhenkel gelang es, die Wogen zwischen den Parteien zu glätten; Hansen vermutete, dass Aocapoto aus Mitleid für den von Hunger und Krankheit gezeichneten Weißen nachgab. Den Zorn des Waldes aber beschwichtigte das in den Augen der Indianer nicht. Sie sollten recht behalten, wie sich Monate später zeigte.
Anfang Oktober wachte Kahle am Morgen mit heftigen Unterleibsschmerzen auf. Schulz-Kampfhenkel betastete die Bauchdecke und stellte eine folgenschwere Diagnose: Blinddarmentzündung. Was einen Arzt unter normalen Umständen nicht weiter beunruhigt hätte, bedeutete so tief im Dschungel unwägbare Komplikationen. Dank entzündungshemmender Mittel aus seiner Bayer-Apotheke gelang es Schulz-Kampfhenkel zwar, die Reizung abzuschwächen, aber Kahles Zustand blieb besorgniserregend. Hansen schlug vor, eines von Präräwas Pulvern zu benutzen, doch Schulz-Kampfhenkel lehnte ab. Noch sei es zu früh, Kahles Bewusstsein zu trüben, vielleicht würde er später auf den Vorschlag zurückgreifen. Hansen spürte, dass sein Freund bemüht war, ihn nicht vor den Kopf zu stoßen. Das unsichtbare Band zwischen ihnen durfte nicht ein weiteres Mal reißen.
Als sich nach acht Tagen keine grundlegende Besserung einstellte, hielten die drei gesunden Männer Kriegsrat.
»Kahle muss operiert werden«, sagte Schulz-Kampfhenkel. »Er stirbt, wenn wir ihn nicht ins Krankenhaus nach Arumanduba bringen.«
»Der Transport ist auch ein Risiko«, gab Krause zu bedenken.
»Hierbleiben ist ein größeres«, entgegnete Schulz-Kampfhenkel.
Die Männer schwiegen, senkten die Köpfe. Ob ihnen die Rückkehr ins Lager vor dem nächsten Hochwasser gelingen würde, war völlig offen. Es stand nicht gut um die Jary-Expedition.
»Ich bleibe hier«, hatte Hansen in die Stille hinein gesagt und die erstaunten Blicke seiner beiden Kameraden auf sich gezogen. Er fühlte sich genötigt, weiterzureden.
»Erstens muss jemand auf das Material aufpassen. Zweitens habt ihr dann auf der Fahrt ein hungriges Maul weniger zu stopfen. Und drittens möchte ich, dass du auf jeden Fall zurückkommst, Otto. Wir sind hier noch nicht fertig. Noch lange nicht. Denk an die Wayapi. Denk an die Guyanas. Noch sind wir nicht weit genug vorgestoßen ins Land. Und wenn ihr beide wieder hier seid, brechen wir gemeinsam auf.«
Hansen hatte sich spontan entschieden. Er war nicht bereit, heimzukehren in die alte Welt. Er hatte jedoch auch Angst davor, sein isoliertes Leben unter den Aparai erneut
Weitere Kostenlose Bücher