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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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ihn, es auszuprobieren, Gift beispielsweise unter das Maniokmehl der Indianer zu mischen und abzuwarten. So ein Experiment zählte doch zum Repertoire der von Schulz-Kampfhenkel so gepriesenen Wissenschaft. Der Versuch am lebenden Objekt. Niemand – außer den Indianern natürlich – würde ihm das übelnehmen. Warum auch? Es handelte sich nur um ein paar Wilde, die gerade von den Bäumen geklettert waren, nicht um zivilisierte Menschen. Dass erseine mordlüsternen Gedanken nicht in die Tat umsetzte, lag daran, dass er sich zu sehr vor dem Häuptling fürchtete, Angst hatte vor dessen Rache. Also sammelte er weiter, beschriftete die Fläschchen akkurat und sortierte sie stoßfest in eine kleine Holzkiste. Das war nun sein Schatz – nicht das erhoffte Gold, aber vielleicht dennoch ein Besitz, der ihn reich machen konnte.
    Ab und zu gönnte Hansen sich eine Prise von Präräwas berauschendem Pulver und halluzinierte in seiner Hütte. Das Leben, das er früher geführt hatte, schien ihm mit jedem Tag unwirklicher, verblasste allmählich wie die Erinnerung an einen Traum. Endlich näherte er sich zumindest einem Ziel seiner Reise – dem Vergessen. Hansen verzichtete jetzt permanent darauf, ein Hemd zu tragen, ließ sich stattdessen den Körper von Präräwas Tochter mit einer stinkenden Mischung aus Erde und Pflanzensud einreiben, um die Moskitos fernzuhalten. Im Dorf spazierte er barfuß umher, die Haare waren hoffnungslos verfilzt und hingen ihm mittlerweile bis weit über die Ohren. Er hatte sich angepasst, obwohl er die Indianer zutiefst verachtete. Aber mehr als alles andere wollte Hansen überleben, auch um den Preis der Selbstaufgabe.
    Als er eines Mittags nach der Jagd sein Kanu auf den Uferstreifen zog, vernahm er von weitem Stimmengewirr. Rund vier Wochen nach seiner Abreise – es musste Anfang April gewesen sein, aber Hansen zählte die Tage nicht mehr – war Schulz-Kampfhenkel zurückgekehrt, mit Kahle, Krause, den Caboclos und dem Material, das der Fluss und die Ameisen ihnen gelassen hatten. Hansen stand verstört vor den Hütten, Bogen und Pfeile in der einen, einen Tukan in der anderen Hand, und starrte wie paralysiert auf die Horde Vandalen, die sein Reich beschmutzten. Schulz-Kampfhenkel lief auf ihn zu und umarmte ihn so herzlich, als wäre nie etwas vorgefallen zwischen ihnen.
    »Was bin ich froh, dich gesund zu sehen, Heinrich«, sagte der Expeditionsleiter und packte seinen Schulfreund an beiden Schultern. Hansen hätte ihn nur mit einem seiner vergifteten Pfeile leicht ritzen müssen, und Schulz-Kampfhenkel wäre vor seinen Augen verendet.
    »Du siehst ja aus wie ein Indianer. Mein Gott, und du stinkst auch wie einer.« Schulz-Kampfhenkel betrachtete ihn von oben bis unten.
    »So beißen sie nicht«, brummte Hansen.
    »Ist alles in Ordnung?«, hatte Schulz-Kampfhenkel gefragt und ihn erneut gemustert wie ein Arzt einen Patienten mit verdächtigen Symptomen. Nein, es ist nicht alles in Ordnung, hätte Hansen am liebsten geschrien, es ist nicht in Ordnung, dass du zurückgekommen bist und mir die Last deiner Existenz wieder aufbürdest, dass du mich daran hinderst, mich selbst zu verlieren. Aber er sagte nichts, nickte nur stumpf. Schulz-Kampfhenkel berichtete ihm, wie er Kahle und Krause nach Tagen gestrandet auf einer Flussinsel gefunden hatte, wie sie sich durch die Stromschnellen kämpfen mussten, dabei ein komplettes Boot einbüßten und eine Zeitlang die Kraft, sich weiter gegen den Fluss zu stemmen. Am Ende war es ihnen doch geglückt, so dass die Expedition – trotz des bedauerlichen Verlustes von Greiner – vor dem Scheitern bewahrt werden konnte.
    Hansen benötigte mehrere Tage, um sich wieder umzustellen und in den alten Jagdtrott zu verfallen. Obwohl Kahle und Krause ihn mit Witzen über sein Aussehen nervten, beließ es Hansen bei den langen Haaren und schmierte sich weiter mit Pflanzenfett ein. So hielt er die Landsleute auf Distanz. Wenn sie ihn nicht behelligten und seine Hütte mieden, war es leichter, Geheimnisse für sich zu behalten. Einen Monat nach Schulz-Kampfhenkels Ankunft im Lager hatte der Expeditionsleiter verkündet, dass er einen Nebenfluss des Jary erkundenwolle, mit einem Boot und begleitet von vier treuen Caboclos. Hansen konnte über Schulz-Kampfhenkels Gründe nur spekulieren, vermutete aber, dass der Forscher nach alleinigem Entdeckerruhm gierte. Der Mann war ruhelos, getrieben vom Ehrgeiz, berühmt zu werden, und von der Gewissheit, ein besonderer Mensch

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