Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
aufzunehmen. Aber im direkten Vergleich schien es ihm leichter. Ob Schulz-Kampfhenkel wiederkommen würde, war ihm eigentlich egal; Hansen wollte nur den Schein wahren und appellierte deshalb an den Forschergeist seines Landsmannes.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, Heinrich«, sagte der zögerlich.
»Ich bin fest entschlossen«, entgegnete Hansen.
»Was sagst du, Gerd?«, fragte der Expeditionsleiter.
Krause nickte knapp.
»Heinrich hat bewiesen, dass er allein zurechtkommt. Wenn er hierbleiben will, soll er das meinetwegen tun. Ohne das Material werden wir schneller sein. Und wir haben einen Grund zurückzukehren.«
Die Entscheidung war damit so gut wie gefallen. Als auch der geschwächte Kahle den Entschluss der Männer absegnete, trafen sie ihre Vorbereitungen. Es war ein unsentimentaler Abschied. Einen Tag später stand Hansen am Ufer und winkte den Booten hinterher. Er war allein, auf unbestimmte Zeit. Weit jenseits jeder Zivilisation, und damit für ihn weit jenseits von Gesetz und Moral. Er wusste nicht, ob das gut für ihn war.
Nach Schulz-Kampfhenkels Abreise hatte es angefangen. Zunächst sah sich Hansen nicht in der Lage, seinen gewohnten Trott wiederaufzunehmen. Erst der Hunger trieb ihn in den Busch, und alles war wieder wie früher. Er verzichtete auf sein Hemd, ließ sich von Präräwas Tochter Macassa den Oberkörper einreiben, ging mit Saracomano auf die Jagd und hielt seine Lust auf den Jungen so gut wie möglich im Zaum. Und doch war ein entscheidender Punkt anders. Sein neues Leben schien ihm endgültiger. Hansen rechnete nicht mehr damit, dass er Schulz-Kampfhenkel noch einmal wiedersehen würde. Als Macassa, deren Mann vor Jahren an einem Schlangenbiss gestorben war, ihm deutliche Avancen machte, ging Hansen darauf ein. Er ekelte sich ein wenig vor ihr, wenn sie ihn in seiner Hütte besuchte, aber die Chance, mit ihrer Hilfe seine Triebe im Zaum zu halten, wollte er nicht ungenutzt verstreichen lassen. Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass seine Liaison genau das Gegenteil bewirken würde. Jedes Mal, wenn Macassa auf allen vieren vor ihm kniete und er von hinten in sie eindrang, spürte er eine größere Abscheu. Hansen stellte sich vor, es sei Saracomanos Körper, den er penetrierte, aber das war nur eine notdürftige Krücke. Sein Verhältnis mit Macassa sollte ihn befreien, stattdessen staute sich ein diffuser Widerwille in ihm an. Er war unzufrieden, rastlos, dehnte seine meist einsamen Jagdtouren aus, übernachtete sogar im Dschungel. In ihm gärte es, und er fürchtete das Ergebnis.
Eines Tages saß ein junger, fremder Indianer mit gesenktem Haupt vor Aocapotos Hütte, als Hansen das Dorf betrat. Saracomano erklärte ihm, dass zwei Wayana, denen weit entfernt von ihrem Stamm die Vorräte ausgegangen waren, ihn gegen Lebensmittel eingetauscht hatten. Der junge Indio war ein Wayapi, mit denen die Wayana über Kreuz lagen. Schulz-Kampfhenkel wollte dieses Volk unbedingt besuchen, weil er sich davon neue anthropologische Erkenntnisse versprach und der Stamm rund siebenhundert Kilometer flussaufwärts lebte, nah an der Grenze zu Französisch-Guyana. Die Wayapi waren angeblich weniger weit entwickelt als die Aparai, selbst die Physiognomien sollten unterschiedlich sein. Hansen bemerkte, dass Schulz-Kampfhenkel recht hatte. Der junge Bursche hatte einen flacheren Kopf, und seine Augen standen nah beieinander. Er wirkte auf den Deutschen zurückgeblieben. Saracomano erläuterte seinem weißen Freund, dass die Wayapi den Wayana dienten und dass der Junge nun den Aparai helfen würde. Hansen verstand. Sie hatten den Wayana einen Sklaven abgekauft. Er betrachtete den Jungen, Bilder schossen ihm durch den Kopf, vernebelten ihm den Verstand. Hansen wandte sich abrupt ab. Eine Erkenntnis flackerte in ihm auf. Er war unter Wilden. Und er war einer von ihnen.
Eine Woche später traf Hansen am Fluss auf den jungen Wayapi. Er hieß Tiliwe. Verlegen lächelte er den Weißen an, hielt zwei leere Körbe hoch. Er sollte Wasser holen. Von den Aparai war niemand zu sehen. Hansen konnte sich selbst später nicht erklären, wie es passiert war, aber er ertappte sich dabei, wie er dem Indianer einen vergifteten Pfeil in die Leiste stieß, als würde er ein Stück Fleisch aufspießen. Ein Schauer lief durch Hansens Körper. Mit einem Mal fühlte er sich freier, stärker, mächtiger. Tiliwe stöhnte überrascht, starrte entsetzt auf die Wunde und von da ins Gesicht des Deutschen, suchte darin
Weitere Kostenlose Bücher