Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
und gefürchtet. Ich war für alles gewappnet, würde er sagen, nur für Hannas Liebe nicht. Ausgerechnet eine Krankenschwester heilte mich von dem Hass, den mein Bruder in mir gezüchtet hatte. Nur war es da eigentlich zu spät, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte. Hanna und ich lernten uns kennen, weil sie Hitlers uneheliches Baby versorgen sollte, würde er dann en passant fallenlassen und die verdutzten Gesichter der Weinbergs genießen. Das haben Sie nicht gewusst? Keine Sorge. Nur sehr wenige haben Kenntnis davon, und auch Sie sollten nicht mehr wissen als nötig. Andernfalls riskieren Sie Ihr Leben.
Wäre das zu dramatisch? Würden sie ihm glauben? Und wenn nicht, was hieße das? Nichts. Also weiter. Wo waren wir stehen geblieben? Bei Hitlers Sohn. Philipp. Er konnte nichts für seinen Vater, er war unschuldig. Und doch sollte er in seinem Sinne erzogen, auf Großes vorbereitet werden. Nur Kind zu sein, war bei ihm nicht vorgesehen. Hanna ertrug diesen Gedanken nicht, und wir entschlossen uns zu einer verzweifelten Tat. Ich bin mit ihr und dem Kind nach Frankreich geflohen, in eine abgelegene Ecke. Für ein paar Monate waren wir eine glückliche Familie. Wie Sie. Bis mich mein liebenswerter Bruder aufgestöbert hat. Ich musste aus einem Versteck heraus mit ansehen, wie er Hanna tötete, und habe damals ewige Rache geschworen. Diese Rache hat mich am Ende zu Ihnen geführt. Aber ich will nicht vorgreifen, würde er sagen, um die Spannung aufrechtzuerhalten. Wenn sie ihm überhaupt noch zuhörten, wenn sie bis dahin nicht abgestoßen waren von den Enthüllungen ihres Gastes.
Ich bin dann mit Philipp nach England, würde er fortfahren, habe den Jungen gut untergebracht und mich selbst dem britischen Geheimdienst angeboten. Die nächsten Jahre habe ich erneut das getan, was ich am besten kann: töten. Diesmal im Auftrag der englischen Regierung und zumeist Deutsche. Ein paar Briten waren auch darunter, Überläufer und Spitzel. Für mich zählte nur eines: Wer für den Nazi-Apparat spionierte, hatte sein Leben verwirkt. Das Töten selber war für mich dabei eine nüchterne Angelegenheit, anders als in Deutschland. Hier musste ich nicht mehr foltern, sondern nur noch liquidieren, präzise, unauffällig, effektiv. Alles ging gut, bis vor ein paar Monaten mein alter Nazi-Kamerad Bensler in London auftauchte. Von da an lief alles schief.
Das wäre die richtige Zeit für eine Kunstpause, dachte Krauss. Und das vorläufig letzte Kapitel. Seine Order, im Auftrag des britischen Geheimdienstes Hitler zu töten, würde er für sich behalten. Die Weinbergs mussten ja nicht alles wissen. Wie würde er das Finale einläuten? Ich bin nach Deutschland, um reinen Tisch zu machen, könnte er sagen. Doch ich habe meinen Bruder unterschätzt. Zum Glück hat mir wieder eine Frau geholfen, Oda. Sie arbeitete eigentlich für Hermann Göring, hat sich aber auf meine Seite geschlagen. Es wäre zu kompliziert, Ihnen alle Verwicklungen zu erklären, nur so viel: Am Ende mussten viele Menschen sterben, bis ich meine Rache vollendet hatte. Zu viele. Es ist nicht recht, was ich getan habe, und ich weiß das. Menschen wie Sie sollten die Gesellschaft eines Mannes wie mir meiden. Ich bin kein guter Umgang für Ihresgleichen. So gern ich mir wünschte, dass es anders wäre. Mehr habe ich nicht zu sagen. Das ist der Teil meines Lebens, der zählt. Sie wollten wissen, was für ein Mensch ich bin. Jetzt wissen Sie es.
Mit diesen Worten würde er schließen. Krauss nahm einen Schluck von dem Wein, stellte das Glas ab, atmete tief ein undsah seiner Gastgeberin in die Augen. Sie wusste alles. Er blickte weg.
»Es tut mir leid«, sagte er.
Niemand reagierte. Das Schweigen zwischen ihnen schien wie eine unüberwindbare Wand. Weinberg riss sie nieder.
»Ich verstehe das«, sagte er. »Sie müssen sich vor uns nicht offenbaren. Vielleicht ist es besser so.«
Weinbergs Frau lächelte verlegen.
»Mir tut es leid, dass ich Sie bedrängt habe.«
»Bitte, Sie haben mich nicht bedrängt«, entgegnete Krauss schnell. »Es fällt mir schwer, über jemanden zu reden, den ich vergessen will. Irgendwann vielleicht.«
»Einverstanden.«
»Aber jetzt würde ich mich gerne zurückziehen«, sagte Krauss. »Das Essen und die Gesellschaft waren wunderbar, doch mein erster Ausflug hat mich ganz schön angestrengt.« Er machte gerade Anstalten aufzustehen, als Hannah ins Zimmer platzte.
»Richard, du darfst noch nicht gehen«, rief sie aufgeregt. »Ich habe
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