Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
kommentierte er nicht, aber er fand es lächerlich, nicht ahnend, was sich im Kopf seines Landsmannes abspielte.
Nach ungefähr zwei Wochen erreichten sie das Lager der Wayana. Wieder musste Schulz-Kampfhenkel all seine Überredungskraft aufwenden, um die Indios von seinen guten Absichten zu überzeugen. Denn die Wayana weigerten sich, ihre Besucher zu den noch entlegener lebenden Wayapi zu führen,weil sie die jungen Männer und Frauen dieses kleinen und weniger weit entwickelten Stammes gerne als Sklaven unterjochten. Schulz-Kampfhenkel blieb stur, versprach, ein Füllhorn von Schätzen über den Wayana auszugießen, und beeindruckte mit faulen Tricks. Nachts schoss er eine Leuchtpistole ab, ließ rote und blaue Sonnen am Nachthimmel aufglühen. Diesem machtvollen weißen Zauber hatten die vor Ehrfurcht erstarrten Indios nichts entgegenzusetzen. Sie gaben nach. Schulz-Kampfhenkel hatte Hansen einen triumphierenden Blick zugeworfen, als er die Zusage der Wayana erhielt, doch der schaute demonstrativ in eine andere Richtung. Für ihn waren die letzten Hoffnungen zerplatzt, er reiste zum Ursprung seiner schlimmsten Alpträume.
Mit vier Booten ging es weiter, denn der Häuptling der Wayana orderte zwanzig Mann ab, um die Eindringlinge zu kontrollieren. Die Beziehung zwischen den Aparai und den Wayana war nicht ganz spannungsfrei, aber es funktionierte. Langsam bewegte sich der vergrößerte Tross stromauf. Hansen wurde mit jedem Tag schweigsamer, unzugänglicher.
»Gente«, Menschen, rief plötzlich einer der Indios. Hansen zuckte zusammen, griff nach dem Gewehr. Aber natürlich hatte es niemand auf ihn abgesehen. Die Wayapi waren ein friedfertiges Volk und den Wayana schon rein zahlenmäßig unterlegen. Sie lebten in Häusern, die auf Pfählen im Fluss standen, und hießen bei den Caboclos daher Pfahlbauindianer. Wie der Junge, den Hansen getötet hatte, unterschieden sie sich in ihren Physiognomien von den Aparai und den Wayana. Für Schulz-Kampfhenkel war das ein gefundenes Fressen, in ihm erwachte der Sammelinstinkt. Wieder wollte er so viele Alltagsgegenstände wie möglich zusammentragen und richtete daher sein Lager mitten unter den Wayapi ein. Hansen beruhigte sich, weil er begriff, dass keiner hier auch nur ahnte, was geschehen war, geschweige denn sich ansatzweise dafürinteressierte, und nahm seinen gewohnten Jagdrhythmus wieder auf.
Auf seinen Streifzügen begegnete er meist keiner Menschenseele. Die Wayapi waren generell schüchtern, ängstlich, ihm gegenüber dazu besonders scheu. Ein langhaariger Weißer, der herumlief wie ein Indianer, das behagte ihnen nicht. Hansen begrüßte das, er war gerne allein. Die hässlichen Wayapi schienen in seinen Augen ohnehin mehr Affen als Menschen. Er wollte mit ihnen nichts zu schaffen haben. Nur einer aus dem Stamm war ihm aufgefallen, ein Junge, vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt, wie stets bei den Indios schwer einzuschätzen. Der Bursche war hübsch, hatte ungewöhnlich ebenmäßige Züge und einen sehnigen Körper. Er erinnerte Hansen entfernt an Saracomano. Doch der Junge hatte bemerkt, dass der merkwürdige Weiße ihn beobachtete, und ging ihm seither bewusst aus dem Weg. Nach einigen Tagen erkrankte Schulz-Kampfhenkel. Er fieberte und litt an Durchfall.
»Das ist die Ruhr«, sagte er zu Hansen. »Wir müssen zurück, sonst bleibe ich für immer hier.«
Sie vereinbarten, am nächsten Vormittag aufzubrechen, sofort nachdem Hansen mit frischem Reiseproviant von der Jagd zurückgekehrt war. Froh über die bevorstehende Abreise, machte sich Hansen in aller Frühe auf den Weg. Ein schwacher Schimmer am Himmel kündigte den Sonnenaufgang an. Plötzlich tauchte der junge Wayapi vor ihm auf, rund einen Kilometer vom Dorf entfernt. Er musste ebenfalls auf der Pirsch gewesen sein. Oder auf dem Rückweg von einem Rendezvous. Hansen lächelte ihn freundlich an.
»Was machst du hier?«, fragte er ihn im Dialekt der Aparai. Er hatte keine Ahnung, ob der Indio ihn verstand.
Der Junge senkte den Kopf und wollte an ihm vorbeilaufen, zurück in Richtung des Dorfes. Hansen hielt ihn am Armfest. Der Wayapi schaute ihn erschrocken an. Auch aus der Nähe hatte er ein bemerkenswertes Gesicht, mit tiefschwarzen, ausdrucksvollen Augen.
»Keine Angst«, sagte Hansen. »Ich würde dich gerne mal näher kennenlernen.«
Der Junge wand sich mit einer abrupten Bewegung aus Hansens Griff und wollte loslaufen, hatte aber nicht mit den geschulten Reflexen des Deutschen
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