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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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seine Arme waren voller Blut und Dreck. Er rang nach Luft. Da. Nein. Doch, kein Zweifel. Hansen hörte brechende Zweige, Rufe, entfernt, aber näher kommend. Sie hatten seine Spur gefunden. Was auch sonst. Wie ein Elefant war er durch den Wald getrampelt. Er musste weiter, weiter.
    Nun versteckte er sich hinter einem Baum und rekapitulierte sein verkorkstes Leben. Der Dschungel hatte ihn verändert. Irgendetwas war passiert mit Hansen, ohne dass er hätte sagen können, was genau oder wann es geschehen war. Die Wildnis hatte in Hansens Seele geschürft und Vergrabenes zutage gefördert. Nur glänzte dieser Fund nicht golden. Hansen keuchte, obwohl er sich seit zehn Minuten nicht mehrbewegt hatte. Sein Körper vibrierte, als stände er unter Strom. Das war das Adrenalin in seinem Blut, die Aufregung, die ihn fiebern ließ. Der Deutsche ballte die Hände zu Fäusten, spannte die Muskeln an, schloss die Augen. Er musste es endlich akzeptieren. Die Wahrheit verinnerlichen. Er war vor ihr ans Ende der Welt geflohen, hatte sie stets geleugnet, sich selbst getäuscht. Aber der Dschungel hatte sie freigelegt wie ein Chirurg einen bösartigen Tumor. Er war ein Jäger. Er liebte es, Witterung aufzunehmen, er jagte und tötete. Tiere wie Menschen. Das befriedigte ihn, dafür war er geschaffen. Hansen atmete tief durch. Ja, er war ein Jäger. Ein Mörder.
    Warum konnte er diese zerstörerischen Triebe in sich nicht kontrollieren? Immer häufiger brach es aus ihm heraus, musste er seine Gelüste befriedigen. Deshalb jagten sie ihn. Deshalb wollten sie ihn töten. Abschlachten. Massakrieren, zerstückeln. Hansen hockte auf dem Waldboden, presste sich mit dem Rücken an den Baumstamm, dass sich die knorpelige Rinde in seine Haut drückte, und legte die Arme auf seine Knie. Er schloss die Augen. Es war an der Zeit, die Sache aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Wenn sie ihn jagen wollten, bitte schön. Aber er war bestimmt nicht die Sorte Wild, die sich in ihr Schicksal ergab. Hansen zog den alten Webley-Revolver aus dem Holster, öffnete die Trommel. Sie war voll. Sechs Schuss. Fünf Indianer. Eigentlich unmöglich. Er drückte die Trommel zurück, steckte den Revolver wieder weg. Nicht für ihn. Er war der treffsicherste Schütze, den die Aparai je gesehen hatten. Er war der große weiße Jäger. Der Jaguar-Bezwinger. Hansen schaute auf seine Hand. Sie zitterte nicht. Nicht mehr.
    Sein Kopf schnellte herum. Er hatte Stimmen gehört. Die Wayapi kehrten zurück, und sie würden ihn finden. Ungefähr fünfzig Meter vor Hansen lichtete sich der Wald, dahinter lag offenes Gelände, wahrscheinlich brandgerodet. Dort wollte erhin. Dort würde er sich seinen Verfolgern stellen. Dort würde er sie heim zu ihren Vorfahren schicken. Sein Entschluss stand fest. Kampf bis zum Tod. Die Beute stellte sich den Jägern. Er drückte sich hoch, taxierte die Lichtung vor sich, berührte erst seinen Revolver, dann sein Amulett, um sich ihrer Gegenwart zu versichern. Die Stimmen waren bedrohlich nah. Er hoffte, dass er mindestens fünfzig bis hundert Meter Vorsprung hatte. Das würde ihm die entscheidenden Sekunden verschaffen, um sich vorzubereiten auf die wichtigste Begegnung seines bisherigen Lebens. Hansen atmete mehrmals tief ein und aus, wie ein Taucher, der sich in unbekannte Tiefen begibt. Dann rannte er los.

12.
B ERLIN
    7. November 1939
Wohnung der Weinbergs
    Dumpfes Gepolter riss Krauss aus traumlosen Tiefen. Normalerweise schlief er die Nächte durch; seit ihrem ersten gemeinsamen Essen fühlte er sich bei den Weinbergs geborgen. Beinahe zwei Wochen lag der Abend zurück, und Krauss war in dieser Zeit gut zu Kräften gekommen. Mit täglich anspruchsvolleren Übungen baute er seine Muskulatur auf und erzielte dabei beachtliche Fortschritte, bewegte sich fast so behände wie vor den Schüssen. Schmerzen akzeptierte er, statt an ihnen zu verzweifeln; sie waren mit jedem Tag leichter zu ertragen. Krauss knipste die Lampe auf seinem Nachttisch an, sah auf seine Uhr. Vier Uhr am Morgen. Vielleicht hatte er sich die Geräusche eingebildet. Er sank zurück ins Kissen. Nein, da war es wieder, ganz deutlich. Der Boden vibrierte, eine Tür wurde zugeschlagen. Kein Zweifel. Licht aus. Krauss schwang sich aus dem Bett, schlüpfte in seine Hose. Sie kamen, um ihn zu holen. Gestapo-Zeit. In dem fensterlosen Zimmer war es stockdunkel. Vorsichtig tastete er sich vorwärts, Richtung Tür. In wenigen Minuten würden sie den Kleiderschrank öffnen,

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