Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Langsam ging er durch die noch offene Tür, trat durch den Schrank in die Wohnung. Es war niemand zu sehen. Aus dem Wohnzimmer vernahm er Geräusche. Im Türrahmen blieb er stehen. Weinberg saß auf der Couch, hatte das bis zur Unkenntlichkeit zerschlagene Gesicht ihm zugewandt. Seine Augen waren beinahe zugeschwollen, die Brauen aufgeplatzt. Die Nase schien Krauss gebrochen, neben der Lippe bildete sich ein eigroßes Hämatom. Weinbergs Frau hatte die Stirn auf die Brust ihres Mannes gelegt, sie weinte fast unhörbar. Hannah lag im Schoß ihres Vaters, die Hände um seine Hüften gekrallt, das Gesicht wie unter Schmerzen zusammengekniffen. Krauss wandte sich ab. Er hatte genug gesehen. Es nahm kein Ende. In den vergangenen Wochen hatte er geglaubt, ein anderer Mensch werden zu können, hatte Seiten an sich entdeckt, die er längst verloren wähnte. Aber das war nur eine Illusion. Kaltes Blut kroch durch seine Adern, ließ sein Herz gefrieren. Nur so konnte er den Hass ertragen, die Wut, die in ihm aufstieg und ihn dazu drängte, seinen Dämonen die Herrschaft zu überlassen.
Er fand sich vor dem Telefon wieder und wählte die Nummer auf dem zerknitterten Zettel. Nach mehrmaligem Läuten nahm jemand ab, sagte aber kein Wort.
»Hast du Namen?«, fragte Krauss emotionslos.
»Wieso?« Straubingers Stimme. Also ja, dachte Krauss. Er formulierte seine Wünsche unmissverständlich.
»Ich brauche eine SS-Uniform, möglichst bald. Ein hoher Dienstgrad, mindestens SS-Hauptsturmführer. Dazu zwei Pistolen, eine mit Schalldämpfer. Bring mir die Sachen, so schnell es geht.«
»Was hast du vor?«
Krauss schwieg einen Moment. Aus den Tiefen der Wohnung vernahm er leises Wehklagen.
»Ich werde ein Exempel statuieren«, sagte er.
13.
B RASILIEN
24. Januar 1937
Dorf der Wayapi
Vielleicht lief er zum letzten Mal in seinem Leben, dachte Hansen. Nur die Ruhe, ermahnte er sich, bloß nicht ablenken lassen. Er versuchte, seinen Atem so flach wie möglich zu halten, sich nur auf seinen Plan zu konzentrieren. Alles auszublenden, was hinter ihm geschah. Das Buschwerk wurde dünner, die Lichtung war nah. Er schlug die letzten Zweige weg, gelangte ins Freie. Die gerodete Fläche mochte zweihundert Meter lang sein und fünfzig Meter breit. Überall lugten verkohlte Baumstümpfe aus der Erde. Hansen hatte keine Ahnung, was die Indianer mit diesem Stück Land anfangen wollten, so weit vom Dorf entfernt. Mais anbauen? Hühner züchten? Sie sollten besser einen Friedhof anlegen, dachte er. Gleich heute.
Ohne sich umzudrehen, rannte er weiter auf das offene Gelände. Vierzig, fünfzig Meter. Genug. Das musste reichen. Er blieb stehen, atmete tiefer, gleichmäßiger. Alles hing davon ab, dass er vollkommen gelassen blieb. Die Ruhe selbst. Wie bei einer seiner Schießübungen. Sein Herz schlug kräftig, aber langsamer. Geht doch, sagte er sich. Jetzt dreh dich um. Hansen schwang sich in Richtung des Waldrandes. Noch war er allein, aber den Geräuschen nach zu urteilen hatten seine Verfolger in wenigen Sekunden die Lichtung erreicht. Hansen hörte, wie sie sich etwas zuriefen, und er sah die Schemen ihrer Körper im Schatten des Dschungels. Er lockerte seine Muskulatur, richtete seine Sinne für einen Moment nach innen und verschmolz mit seiner Umgebung. Diese Technik hatte er sich auf der Jagd angeeignet. Je mehr es ihm gelang, sich aufAugenhöhe mit seiner Beute zu bewegen, eine innere Verbindung mit ihr aufzubauen, desto erfolgreicher war er. Die Indios schrien jetzt beinahe hysterisch. Sie hatten die Lichtung erreicht und ihn dort stehen sehen, mit gesenktem Kopf, als hätte er sich in sein Schicksal ergeben. Er blickte auf. Es waren fünf, wie erwartet. Atmen. Ruhig atmen. Sie hatten unterschiedliche Waffen in der Hand, Axt, Bogen, Speer, Axt, Messer. Ein Trupp Jäger, darauf ausgerichtet, Beute zu machen und zu zerlegen. Hansen zog den Revolver aus dem Holster, richtete den Lauf nach unten. Sein Arm zitterte nicht. Er stellte das rechte Bein nach vorn, spreizte das linke nach hinten ab, bot den Angreifern nur seine Silhouette. Fester Stand, schmales Ziel. Die Wayapi hatten sich in einer Linie aufgestellt, jeweils etwa drei, vier Meter trennten sie voneinander. Sie brüllten sich knappe Kommandos zu, die Hansen nicht verstand, aber auch nicht zu verstehen brauchte. Dafür reichte seine Vorstellungsgabe. Schlagt ihm den Schädel ein, schneidet ihm die Eingeweide raus. Einer stieß einen trillernden Schrei aus. Sie griffen an.
Hansen
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