Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
wahres Wesen. Krauss wich Inge Weinbergs Blick aus, sagte ihr, dass Straubinger ihm eine Uniform bringen werde, damit er unerkannt aus Deutschland verschwinden konnte. Er log sie an. Es brachte nichts, ihr die Wahrheit zu erzählen. Sie hätte versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Aber sie begriff nicht, was in ihm vorging. Sie verstand diesen Ekel nicht, diesen unersättlichen, brennenden Hass. Auf einen Gott, der all das zuließ, auf die Mörder in diesem Land und auf sich selbst. Vor allem auf sich selbst. Den Weinbergs war es dank ihrer Freundlichkeit gelungen, diesen Hass eine Zeitlang zu neutralisieren, aber die Brutalität der Gestapo hatte ihn wieder entflammt. Jetzt war er da und fraß sich durch Krauss’ Seele wie ein alles verzehrender Feuersturm.
Als Straubinger die Wohnung betrat, schlief Weinberg wie ein Bewusstloser. Seine Frau hatte ihm ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht. Krauss war das recht, so musste er sich vor dem moralisch integren Arzt nicht verantworten. Weinbergs Frau ließ ihren Gast gewähren, ahnte sie doch, dass er Widerspruch nicht dulden würde. Krauss zog sich mit Straubinger in sein Zimmer zurück, begutachtete Waffen undUniform. Die Kluft eines SS-Hauptsturmführers, wie vereinbart.
»Ich weiß, was du vorhast«, sagte Straubinger.
»Dann ist es ja gut«, entgegnete Krauss und begann, sich umzuziehen. Straubinger hatte bei der Wahl der Kleidergröße ein gutes Händchen bewiesen, der Rock saß tadellos. Krauss strich die Falten glatt und ließ das Koppelschloss einrasten.
»Du willst jemanden bestrafen.«
Krauss setzte sich aufs Bett und steckte den linken Fuß in einen schwarzen Stiefel. Er war eine Nummer zu groß. Tolerabel.
»Ach ja?«
Der andere Stiefel passte besser. Vielleicht waren seine Füße unterschiedlich groß. Krauss erhob sich, prüfte den Sitz des Schuhwerks, indem er mehrmals auftrat.
»Meiner Ansicht nach auch dich selbst.«
Krauss nahm schweigend die Mütze, betrachtete die Abzeichen über dem Schild. Unter dem NS-Adler prangte der silberne Totenkopf. »Meine Ehre heißt Treue«, lautete die SS-Parole. Treue bis zum Tod. Er würde sie beim Wort nehmen. Krauss setzte die Mütze auf, rückte sie zurecht.
»Mein Gott«, sagte Straubinger.
Krauss griff sich eine der beiden Pistolen. Es waren beides Walther PPK vom Kaliber neun Millimeter, die gebräuchlichste Handfeuerwaffe unter Offizieren. Er prüfte das Magazin, zog den Schlitten durch. Dasselbe bei der anderen. Abläufe, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen waren. Beide Pistolen schienen technisch einwandfrei. Er nahm den Schalldämpfer, schraubte ihn auf den Lauf der ersten PPK, drehte ihn fest. Zum ersten Mal sah er Straubinger an. Die Pupillen des Nazis flackerten. Er hatte Angst. Weil er einen Geist heraufbeschworen hatte, der sich seiner Kontrolle entzog. Krauss richtete die Waffe auf Straubingers Stirn. Der »Sohn Odins« zuckte zurück.
»Warum hast du mich gerettet?«, fragte Krauss. Seine Hand war vollkommen ruhig.
»Ich, ich, ich weiß es nicht«, stammelte Straubinger. »Ich weiß es wirklich nicht. Es war eine spontane Aktion, ich habe überhaupt nicht nachgedacht. Du wirst mich doch nicht töten, hier bei der Familie?«
»Ich glaube dir nicht. Du tust nichts unüberlegt.«
»Bitte, du musst mir glauben. Es war … ein Geschenk. Ja, genau.« Er suchte nach Worten. »Mir ist alles Mögliche durch den Kopf geschossen. Es gab so viele Gründe.«
»Nenn mir einen.«
Straubinger versuchte, Krauss anzusehen, ertrug aber den Anblick der Mündung nicht, die zwischen seine Augen zielte.
»Es hätte meine Position gestärkt. Ja, daran habe ich gedacht. Dass sie mich belobigen würden für meinen Scharfsinn. Es ist nicht so gut gelaufen in der letzten Zeit für mich, weißt du. Dein Bruder hat andere Männer vorgezogen. Dass ich dich gefunden habe, hätte meine Reputation verbessert. Aber dann war mir das nicht mehr genug.« Er hob den Kopf, versuchte, die Waffe zu ignorieren. »Ich will hier weg, Richard. Ich habe die Schnauze voll, ich will raus aus diesem Land. Aber ohne vor einem Kriegsgericht zu landen. Ich dachte mir, du hast die Verbindungen. Mit deiner Hilfe könnte ich es schaffen.«
Das war zu einfach, dachte Krauss. Straubinger war raffiniert, ein gewiefter Stratege, ein schlauer Bursche, wie Edgar zu sagen pflegte. Und ein derartiges Lob kam ihm nicht leicht über die Lippen. Aber wenn Straubinger einen ausgetüftelten Plan verfolgte, wieso brachte er ihm die
Weitere Kostenlose Bücher