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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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dachte an seine Ausflüge mit Saracomano. Manchmal hatten sie mit dem alten Webley-Revolver geschossen, nur zum Spaß. Das Ding war klobig, der Rückstoß gewaltig, eine Waffe für die kurze Distanz, für Schlangen oder anderes gefährliches Getier, das einen im Dschungel überraschen konnte. Auf eine Reichweite von fünf, sechs, vielleicht zehn Metern hatte Hansen absolutes Vertrauen in den Revolver. Darüber hinaus war jeder Treffer reine Glückssache. Auf fünfzig Meter vielleicht sogar unmöglich. Deshalb wartete er. Die Indios mochten noch vierzig Meter entfernt sein, in ihren Gesichtern meinte Hansen aber triumphierende Züge zu erkennen. Ihr Opfer war nah, der Sieg scheinbar sicher. Er hielt den Webley mit dem Lauf auf den Boden gerichtet. Der Revolver war zu schwer, um ihn längere Zeit mit ausgestrecktem Arm zu halten.Zittern wäre die Folge gewesen, ein Fehlschuss unvermeidlich. Er musste die Waffe heben, zielen, schießen, alles in einem Zug. Konzentrier dich, ermahnte er sich. Glaub an dich, an deine Herkunft, deine Wurzeln. Er war diesen Wilden in jeder Hinsicht haushoch überlegen. Sie hatten gerade den Sprung vom Affen zum Menschen vollzogen, aber er war ein Arier. Er stand an der Spitze der Rassenpyramide. Sein genetisches Material war viel wertvoller, viel widerstandsfähiger, viel komplexer. Sie handelten impulsiv, er kontrolliert. Sie ließen sich von ihren Gefühlen lenken, er von seinem Verstand. Nach normalem Ermessen durfte er nicht verlieren.
    Wenn es allerdings einen Gott gab oder Gerechtigkeit, dann hatte er wahrscheinlich die Höchststrafe verdient. Du sollst nicht töten. Dieses Gebot hatte er zweifellos nicht befolgt. Aber war der Dschungel nicht ein rechts- und moralfreier Raum? Wer wollte hier über ihn richten? Galten hier nicht eigene Regeln? Das Recht des Stärkeren zum Beispiel. Daran gemessen, durfte ihn niemand verurteilen. Schon gar nicht diese Untermenschen. Hansen fixierte sein erstes Ziel. Den Wayapi mit dem Bogen. Noch fünfunddreißig Meter, zu weit für einen sicheren Schuss. Sein Geist, sein Auge, sein Arm waren eine Einheit. Hansen wollte leben, aber er fürchtete den Tod nicht. Wer den Tod fürchtete, der hatte in diesem Leben nichts verloren. Dreißig Meter. Jetzt. Er spannte den Hahn, hob den Arm, zielte und schoss. Der Rückstoß schlug seine Hand nach oben. Hansen sah, wie der Wayapi mit dem Bogen aus vollem Lauf nach hinten gerissen wurde, als sei er gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Volltreffer.
    Ein Speer flog eine Handbreit am Kopf des Deutschen vorbei. Um den Werfer musste er sich erst mal nicht mehr kümmern. Er hatte seine Chance vertan. Zunächst die anderen. Er hob den Revolver, zielte, schoss. Der Kopf des Indianers mit dem Messer knickte weg, er taumelte, stürzte, blieb reglos liegen.Hansen hatte den Arm längst wieder gesenkt und den Hahn gespannt. Fünfundzwanzig Meter. Ein Wayapi hob seine Axt zum Schlag oder Wurf. Hansen richtete den Revolver auf ihn, zielte, schoss. Der Indianer musste seitlich in die Brust getroffen worden sein, denn sein Körper wurde herumgewirbelt. Zwanzig Meter. Hahn spannen, zielen, schießen. Hansen tötete den zweiten axtbewehrten Wayapi mit einem Schuss ins Herz. Nur noch der Indianer war auf den Beinen, der seinen Speer erfolglos geschleudert hatte. Verschleudert traf es besser, dachte Hansen. Der Wayapi lief langsamer auf den Deutschen zu, blieb resigniert stehen, sank auf die Knie, kapitulierte. Hansen erwachte wie aus einer Trance. Was machte der Kerl da? Sang er? Der Indio hatte die Hände zum Himmel gehoben und murmelte vor sich hin. Hansen löste sich aus seiner Starre und ging gemessenen Schrittes zu ihm hinüber, den Revolver gespannt, aber zu Boden gerichtet. Zwei Meter vor dem Indio blieb er stehen. Der Bursche sang tatsächlich. Was diese Wilden so singen nennen, dachte Hansen. Für seine Ohren war das nur ein schauerlich schiefes Geheul.
    »Willst du die Götter gnädig stimmen?«, fragte er. »Oder bejammerst du deine toten Brüder?«
    Der Indianer reagierte nicht, sang einfach weiter.
    »Sing nur«, sagte Hansen. »Vielleicht hilft es ja.«
    Er hob die Waffe, richtete sie auf den Kopf des Wayapi und drückte ab. Der Indianer sank auf den gerodeten Waldboden.
    Hansen hörte zum ersten Mal bewusst den Knall des Schusses, hörte das Echo, das über die Lichtung schwappte wie eine Welle über den Strand. Im Dorf würde niemand die Schüsse mitbekommen haben, dafür waren sie zu weit entfernt, und der Dschungel

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