Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
vonstattengehen?«
Ein Ruck ging durch Hansens Körper. Er straffte sich, fasste sich mit der Hand an die Brust, als ertaste er dort etwas, und fing an zu reden. Es ging um deutsche Kriegsschiffe vor der brasilianischen Küste, um schnelle Landungstruppen, die sich mit Hilfe der Indios durch den Urwald schlugen, um unerschöpfliche Bodenschätze und fruchtbares Land, das deutschen Siedlern auf Jahrzehnte hinaus Wohlstand und Wohlbefinden garantieren würde. Hansen redete und redete, und Göring ertappte sich dabei, wie seine Gedanken abschweiften in ein angenehmes Nirgendwo, in dem man Gerede nur als akustische Tapete benutzte wie das sanfte Murmeln eines nahen Baches. Plötzlich versiegte dieser Bach.
»Klingt interessant und einleuchtend«, sagte der Reichsfeldmarschall. »Für eine detailliertere Planung müssen wir natürlich ein paar fähige Köpfe der Marine hinzuziehen. Sie verstehen.«
Hansen blickte ihn aus seinen toten Katzenaugen an.
»Sie haben mich noch nicht nach meiner Rolle in diesem Szenario gefragt«, sagte er.
»Ich nehme an, Sie wollen eine Beteiligung an den Einnahmen. Liege ich da richtig? Jeder will doch heutzutage eine Beteiligung.«
»Nicht ganz. Ich möchte deutscher Statthalter in den Guyanas werden. Und ich kann mir vorstellen, dort eine geheimeElitetruppe der SS aufzubauen, unter meiner Führung natürlich, die besonders heikle Aufträge übernimmt.«
Das waren ja ganz neue Töne. Wie ein SS-Mann sah Hansen nun wirklich nicht aus. Göring hätte gerne gewusst, was in diesem Kerl vorging.
»Was sollte Sie dazu befähigen? Soweit ich das Ihren Ausführungen entnehme, haben Sie keine militärischen Vorkenntnisse. Sie sind nicht einmal in der Partei.«
Hansen verzog den Mund.
»Letzteres lässt sich schnell ändern. Und was meine Fähigkeiten betrifft, so können Sie mir glauben, dass jemand, der es schafft, im Dschungel zu überleben, das überall auf der Welt kann. Zudem habe ich mir Kenntnisse angeeignet, von denen die SS in größtem Umfang profitieren könnte.«
»Zum Beispiel?«
»Die Indios überleben seit Hunderten von Jahren im Urwald. Sie beherrschen Techniken, die uns völlig fremd sind, zum Beispiel, was Gifte und Tränke angeht. Es gibt Gifte, nach deren Injektion sie in Sekunden sterben, andere brauchen Tage, um ihre ganze Wirkung zu entfalten. Es gibt Pulver, nach deren Genuss sie in den Wolken schweben, und andere, die sie mitnehmen auf einen Abstecher in die Hölle. Es gibt Abhängigkeits- und Wahrheitsdrogen, je nachdem. Ich hatte das Glück, von den Schamanen eingeweiht zu werden in die Kunst des Giftmischens. Was Sie auch brauchen, ich mische es Ihnen zusammen. Und das ist nur ein Teil der Fähigkeiten, von denen ich spreche. Machen Sie mich zum Statthalter Guyanas, und die SS wird die Welt von dort aus mit einem Schreckensregiment überziehen.«
Göring hatte interessiert beobachtet, wie sich Hansen zum ersten Mal ereiferte. Offenbar war dies die sensible Stelle dieses verrückten Kauzes. Gifte, Pulver, Wahrheitsdrogen, er hatte lange nicht mehr solchen Schwachsinn gehört. Er mussteHansen schnell loswerden, die Kanaille war nicht mehr zu ertragen.
»Das hört sich bemerkenswert an. Ich werde das überdenken und Ihnen Bescheid geben.« Göring erhob sich. »Sie hören von mir.«
Hansens Gesicht wirkte plötzlich angeekelt. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, da klopfte es. Ausnahmsweise erfreut über die Störung, reagierte Göring sofort.
»Ja, bitte.«
Kropp trat ein und ging, mit einem Schreiben in der Hand, schnurstracks auf seinen Dienstherrn zu. Hansen war derweil aufgestanden und bewegte sich wortlos Richtung Tür.
»Ein Telegramm, das keinen Aufschub duldet«, sagte Kropp.
Göring riss ihm das Blatt aus der Hand und las. Das war unmöglich, dachte er. Er las noch einmal. Dieser Tag bescherte ihm eine Überraschung nach der anderen. Plötzlich hatte er eine Eingebung. Seine Augen suchten Hansen, der gerade im Begriff war, Görings Büro zu verlassen.
»Eine Sekunde, Hansen«, rief der Reichsfeldmarschall. »Was sagten Sie gerade über Wahrheitsdrogen?«
16.
P OTSDAM
11. Januar 1940
Wildpark-Werder
Unaufhaltsam kroch die Kälte in Krauss’ Glieder. Selbst eine doppelte Garnitur Unterwäsche und zwei extradicke Pullover unter seinem Mantel kamen gegen die eisigen Temperaturen nicht an. Mit jedem Atemzug stieß er eine Wolke aus wie die Lokomotive dort unten. Dieser Winter war mörderisch, als wolle die Natur ihrerseits einen Krieg
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