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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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stutzte. Die Frau drehte den Kopf in seine Richtung, blickte direkt ins Zielfernrohr. Krauss schrie auf, zuckte zurück. Das konnte nicht sein, das war unmöglich. Sein Puls beschleunigte sich schlagartig. Er schaute erneut durch das Zielgerät. Sie war es, kein Zweifel. Krauss schloss die Augen, drückte den Kopf in den Schnee. Verdammt, verdammt, verdammt. Das da unten war Oda. Unverkennbar. Görings Häscher hatten sie geschnappt.
    Oda. Görings Nichte. Die Frau, die erst versucht hatte, Krauss im Auftrag von Göring den Aufenthaltsort von Hitlers heimlichem Sohn Philipp zu entlocken, sich aber auf seine Seite schlug, als sie von Krauss die wahren Hintergründe erfuhr. Sie war seine Seelenverwandte, verletzt und einsam wie er. Darüber hatten sie zueinandergefunden, und der ehemalige »Sohn Odins« fühlte sich zum ersten Mal seit Hannas Tod wieder von einer Frau verstanden und zu ihr hingezogen. Ohne Odas Hilfe hätte er Philipp niemals befreien können, denn sie war unerschrocken und als Agentin für Görings Forschungsamt bestens ausgebildet. Obwohl sie sich kaum kannten, bildeten Oda und Krauss ein perfektes Team. Gemeinsam hatten sie sogar die schwer bewachten Katakomben von Schein-Carinhall erobert. Doch sosehr Krauss sich eine Zukunft mit Oda gewünscht hätte, so unabdingbar war es, dass sie dem Jungen, der nicht das Geringste von seiner Herkunft ahnte, ein sicheres Refugium fernab von denjenigen bot, die nach ihm suchten. Krauss wollte das Seinige dazu beisteuern, indem er den Menschen, den er in Bezug auf Philipp für besonders hartnäckig und gefährlich erachtete, aus dem Weg räumte: seinen Bruder Edgar. Zugleich konnte er soRache nehmen für Hannas Tod. Alles schien folgerichtig, schien sich zu fügen. Oda und Krauss hatten sich ohne Hoffnung auf ein Wiedersehen getrennt. Und jetzt das.
    In Krauss’ Kopf arbeitete es. Was bedeutete Odas Gefangennahme für ihn und seine Pläne? Hatte Göring auch Philipp in seiner Gewalt? Welche Auswirkungen hatte das? War Odas Leben in akuter Gefahr? Er brauchte Antworten, und zwar schnell. Eine weitere Wagenkolonne näherte sich dem Zug. Krauss griff zum Fernglas. Diesmal waren es deutlich mehr Fahrzeuge, meist schwere Limousinen – unter ihnen Görings Mercedes, erkennbar an den Hakenkreuzfähnchen an den vorderen Kotflügeln. Krauss griff zum Gewehr und richtete es auf den Wagen des Reichsfeldmarschalls. Der Mercedes blieb vor dem Salonwagen stehen, der Fahrer sprang heraus und öffnete die hintere Tür. Krauss atmete tief ein, hielt die Luft an. Ganz ruhig jetzt. Auf diese Distanz reichte der Flügelschlag eines Sperlings, um die Flugbahn der Kugel zu beeinflussen. Göring stieg aus dem Fond. Er war noch fetter als bei ihrer letzten Begegnung vor ein paar Monaten. Ein leichtes Ziel. Krauss’ Finger lag auf dem Abzug. Görings Brust füllte das Fadenkreuz aus. Die großkalibrige Kugel würde seine Rippen durchschlagen, seine Arterien zerfetzen und ein faustgroßes Loch in seinen Rücken reißen. Unwahrscheinlich, dass er einen solchen Treffer überlebte. Krauss musste nur abdrücken. Göring spazierte um den Mercedes herum, schüttelte ein paar Hände, lachte, winkte weiter entfernt Stehenden zu. Schieß, dachte Krauss. So eine Gelegenheit bekommst du nicht wieder. Er erhöhte den Druck auf den Abzugshebel. Jetzt. Krauss ließ das Gewehr los. Es ging nicht. Nicht mehr. Odas Anwesenheit hatte für ihn alles in Frage gestellt. Wenn er Göring erschoss, wurde das unter Umständen ihr angelastet, als Befreiungsversuch. Dann war sie in noch größerer Gefahr. Der Reichsfeldmarschall selbst würde seinerNichte aber so schnell nichts antun. Zumindest nicht sofort. Vorher würde er versuchen, so viel wie möglich aus ihr herauszuquetschen. Die entscheidende Frage für Krauss war: Hatte Göring Philipp in seiner Gewalt? Die Antwort würde über Odas Schicksal entscheiden.
    Unten am Zug schrillte eine Trillerpfeife. »Asien« war zur Abfahrt bereit. Krauss klappte den Ständer seines Gewehres ein und erhob sich. Er wollte sofort zurück zu Straubinger, das weitere Vorgehen besprechen. Aber er wusste, dass er Oda nicht alleinlassen konnte. Es gab stets einen Weg. Sie mussten ihn nur finden. Krauss stapfte durch den Schnee zurück zu dem Wirtschaftspfad, an dem er den Opel abgestellt hatte. Am Wagen zog er den Overall sowie die Pullover aus und eine SS-Uniform an. Sie hatte ihm in den vergangenen Wochen gute Dienste erwiesen, von der Geschichte in der Gestapo-Zentrale ganz

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