Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
führen gegen die Menschen, die den Planeten in ein Schlachthaus verwandelten. Aber das Gejammer half ihm nicht weiter. Wenn er seinen Plan umsetzen wollte, musste er die Kälte als notwendiges Übel hinnehmen.
Krauss lag bäuchlings auf einer Anhöhe in einer Schneekuhle, über seiner Kleidung trug er einen weißen Overall, wie ihn Anstreicher benutzten, selbst sein Fernglas und sein Gewehr waren mit weißem Stoff umwickelt. Dank dieser Tarnung wähnte er sich einigermaßen sicher vor unliebsamen Blicken. Von seiner erhöhten Position aus konnte er über einen kleinen Kiefernwald hinweg die Ebene überschauen, bis hin zu dem rund einen Kilometer entfernten Ziel seines Ausflugs: einem Zug namens »Asien«. Nicht irgendein Zug, sondern das rollende Hauptquartier des zweiten Mannes im Deutschen Reich, Hermann Göring. Der Reichsfeldmarschall reiste gerne ohne Abstriche an seine persönlichen Bedürfnisse, und die wähnte er nur in seinem luxuriösen Sonderzug angemessen befriedigt. Während er in seiner Berliner Residenz weilte, parkte der Zug entweder im Bahnhof Yorckstraße oder nahe dem Oberkommando der Luftwaffe an der Station Wildpark-Werderbei Potsdam, Deckname »Kurfürst«. Dort lauerte und fror Krauss nun deutlich außerhalb des Sicherheitsrings, den SS- und SD-Männer rund um die Waggons gezogen hatten. Niemand rechnete mit einem Schuss aus mehr als einem Kilometer Distanz. Das würde sich bald ändern, dachte Krauss.
Er hob den Mauser-Karabiner 98 leicht an und sah durch das Zielfernrohr. Straubinger hatte die Waffe besorgt, sie war zuverlässig und besaß eine enorme Reichweite, angeblich bis zu zweitausend Meter. Absolut ausreichend für seine Zwecke, denn er hatte nicht vor, die Möglichkeiten des K98 auszureizen. Das Testschießen in einem einsamen Waldstück war zufriedenstellend verlaufen, auch wenn sich die beiden Männer sputen mussten, um nicht entdeckt zu werden. Krauss vertraute dem Gewehr. Es würde seine Arbeit tun und der Welt einen Dienst erweisen. Vorausgesetzt, seine Hand zitterte nicht.
Langsam schwenkte er die Waffe den Zug entlang, ein Auge am Zielfernrohr. Der erste Waggon war wie der letzte mit zwei Flakgeschützen bestückt, mit denen Görings Männer, wenn sie denn wollten, auch auf Krauss feuern konnten. Dafür mussten sie aber eine Ahnung haben, woher der Schuss gekommen war. Im zweiten und dritten Wagen wohnten die Gäste und acht Beamte der Eisenbahnpolizei, die vor Görings Abteil Wache hielten. Von ihnen ging eine gewisse Gefahr aus; zwar waren sie außerstande, Krauss mit einer Kugel zu treffen, konnten ihn aber unter Umständen aufgrund des Knalls lokalisieren und seine Position an die Flakschützen weitergeben. Eine Vorstellung, die Krauss nicht gerade gefiel.
In den nächsten drei Salonwagen residierte Göring. Der Reichsfeldmarschall brauchte in diesem Palast auf Gleisen auf nichts zu verzichten. Das Mobiliar war aus edelsten Hölzern gefertigt, dickflorige Teppiche dämpften den Geräuschpegel,großzügige Schlaf- und Essbereiche ließen keine Wünsche offen, das Bad besaß goldene Armaturen und marmorne Becken. Straubinger hatte das Innere des Zuges in allen Einzelheiten beschrieben. Krauss widerte dieses Geprotze an, diese zur Schau gestellte Dekadenz, die Göring mit dem Blut unzähliger Menschen erkaufte. Wenn alles nach Plan lief, würde heute das Blut des Feldmarschalls fließen und dessen kostbaren Teppich beschmutzen.
Aber noch war Göring nicht an seinem Zug eingetroffen. Straubinger hatte ihm am Abend zuvor versichert, dass der Reichsfeldmarschall seinen Geburtstag auf Burg Veldenstein in Neuhaus an der Pegnitz zu verbringen gedenke und für heute die Abfahrt plane. Das war für Krauss das Signal gewesen. Doch Hitlers Paladin ließ auf sich warten. Krauss sah auf die Uhr. Kurz vor neun am Morgen. Noch zu früh für Hermann Göring. Das feiste Schwein schlief erst seinen Morphiumrausch aus. Krauss inspizierte weiter die Waggons. Hinter Görings Luxusabteilen folgten zwei ebenfalls komfortablere Wagen für den engen Führungsstab, dann drei normale D-Zug-Waggons für die Angestellten und am Ende der zweite Flakwagen. Was für ein Aufwand für eine einzige Person. Aberwitzig.
Als Krauss nach seinem Strafkommando in der Gestapo-Zentrale Straubinger offenbart hatte, dass er vorhabe, der deutschen Nazi-Führungsriege den Krieg zu erklären, war der »Sohn Odins« erst einmal außer sich gewesen. Die Exekution der Gestapo-Offiziere fast zeitgleich mit Georg Elsers
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