Ein Freund aus alten Tagen
werden, obwohl er vor Sorokins Aussage bei keinem der verschiedenen Geheimdienste aktenkundig geworden war. Dies lässt sich allerdings teilweise dadurch erklären, dass Stiernspetz aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von ideologischen Motiven geleitet wurde. In seinem Fall ging es wohl eher um Erpressung.
Die Angelegenheit darf damit als abgeschlossen gelten.
Meijtens goss sich noch eine Tasse Tee ein und las anschließend das zweite Dokument. Es war einen Monat später datiert und noch verblüffender. Dabei schien es sich um eine offizielle Antwort in einem Schriftwechsel zwischen verschiedenen Sicherheitsbehörden zu handeln, möglicherweise zwischen dem Staatsschutz und dem Sicherheitsdienst des Generalstabs. Alle Informationen über Empfänger und Absender sowie Aktenzeichen waren geschwärzt.
Betreff: Antrag auf eine Zusammenkunft mit der Quelle »Revisor«
Bei den Sicherheitsbehörden ist die Anfrage eingegangen, ob der Quelle »Revisor« direkte Fragen gestellt werden können XXXXXXXXXX. Dieses Ansinnen wird kategorisch abgelehnt, da »Revisor« heute eine hohe Position bekleidet und nicht wünscht, mit der brisanten Debatte der letzten Zeit über die Sicherheitsbehörden in Verbindung gebracht zu werden. Es liegen darüber hinaus eher persönliche Gründe für eine Rücksichtnahme vor. Wir verweisen auf unseren früheren Bericht
XXXXXXXX und möchten betonen, dass der Fall Stiernspetz abgeschlossen ist.
Meijtens trommelte mit den Fingern. Das ursprüngliche Dokument schien länger gewesen zu sein, ganz so, als hätte die Person, die es kopiert hatte, den Schluss verbergen wollen oder gar für überflüssig gehalten. Außerdem musste der Briefwechsel mehr Schreiben enthalten haben, also warum ausgerechnet dieses Fragment? Und warum wurde es ihm anonym geschickt? Er musste an Hanssons Bemerkung darüber denken, dass die Medien gern für Desinformation missbraucht wurden. Wohin wollte die anonyme Quelle sie führen?
Womöglich bildete das letzte Blatt einen vagen Hinweis auf die Motive des Absenders. Es war ein Zettel mit einer einzigen maschinengeschriebenen Zeile:
Warum schreiben Sie nichts über Stiernspetz?
30 Natalie warf einen Blick auf die Uhr und eilte die Allee hinab. Es war fast sechs. Mit raschen Schritten überquerte sie die Rasenfläche, und ihre Schuhsohlen rutschten auf den bunten Herbstblättern. Vor der Kunstgalerie brannten zwei Partylichter, und hinter der Tür erahnte man einen Tisch, auf dem zahlreiche geleerte Weingläser standen. Offenbar hatte eine Vernissage stattgefunden. Als sie die Tür öffnete, ertönte das leise Klingeln eines Glöckchens, und sie hörte die letzte Besucherin begeistert zwitschern: »Phantastisch, meine Liebe, ganz wunderbar. Irgendwie so wahnsinnig vital. Ich finde das so … Ja, wirklich!«
Die Galeristin murmelte eine freundliche Antwort und drehte sich zur Tür um.
»Wir schließen gerade, aber Sie können morgen …« Sie starrte Natalie an und hielt inne. Ihre Stimme erstarb und nahm das liebenswürdige Lächeln gleich mit. Natalie versuchte, etwas zu erwidern, hatte sich aber gerade ein Kanapee in den Mund geschoben.
Die Galeristin kehrte in den hinteren Raum zurück, wo die Besucherin ihren entzückten Monolog wieder aufnahm.
Natalie inspizierte ein Glas, kam zu dem Schluss, dass es sauber war, und füllte es mit Rotwein. Die Galeriebesucherin betrat den vorderen Raum und lächelte unsicher, als sie Natalie erblickte, die grüßend ihr Weinglas erhob. Die Frau ging zu einem der ausgestellten Bilder.
»Ich finde, das hier ist besonders eindrucksvoll.« Sie zeigte auf den kleinen roten Punkt, der markierte, dass das Bild bereits verkauft war, und seufzte. »Typisch. Ich hätte früher hier sein sollen. Sie hätten wissen müssen, dass ich dieses Bild lieben würde, und es für mich reservieren sollen.« Scherzhaft klopfte sie der Galeristin mit dem Ausstellungsprospekt auf den Arm.
»Sollte der Käufer es sich doch noch anders überlegen, dann melde dich bei mir, ja?«
»Die Punkte werden bestimmt nur hingeklebt, um Ihr Interesse zu wecken«, mischte Natalie sich ein. »Sie werden sehen, Sie kommen noch zu Ihrem Bild.«
Die Besucherin drehte sich um und sah Natalie erstaunt an.
»Das erscheint mir eher unwahrscheinlich«, fuhr die Galeristin fort, als hätte sie Natalies Kommentar gar nicht gehört. »Das kommt nur selten vor, und dieses Bild ist wirklich etwas Besonderes.«
Die Augen der Frau flackerten nervös, dann schenkte sie Natalie
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