Ein Freund aus alten Tagen
handelte es sich um Notizen über die Anwerbung von Mitgliedern oder über den Verkauf der Zeitung. Einige Artikel waren politische Kommentare, die um die Situation in den beiden deutschen Staaten und den Status von Berlin kreisten.
Notizen von der Ostseewoche in Rostock
Wie üblich nahm eine große Zahl von Studenten aus sämtlichen Ostseeanrainerstaaten außer der Bundesrepublik Deutschland an der alljährlich stattfindenden Ostseewoche teil. Außer den üblichen Diskussionsveranstaltungen und dem Kulturaustausch, beides wie immer höchst interessant, wurde den Teilnehmern die Möglichkeit geboten, sich mit eigenen Augen von der phantastischen Entwicklung der deutschen Volksrepublik zu überzeugen. Für jedes Individuum mit klarem Blick dürfte eindeutig feststehen, dass die DDR ihren Nachbarn im Westen in allen Belangen überholt hat, eine Tatsache, die von schwedischen Zeitungen hartnäckig ignoriert wird. So lässt sich beispielsweise festhalten, dass die DDR heute einen höheren Pro-Kopf-Verbrauch von Speisefett, Butter und Zucker aufweist als die BRD.
Die meisten ihrer Beiträge waren im gleichen Stil gehalten. Erik Lindmans Artikel hingegen deckten ein weiteres Feld ab. Die Innenpolitik, die Situation in Südostasien, wirtschaftspolitische Fragen, aber auch Filmkritiken. Nichts entging Lindmans energischem Stift. Sie dachte an das Jugendbild von Erik Lindman mit dem gläubigen Lächeln, das Meijtens an seine Pinnwand geheftet hatte.
Die letzte Veranstaltung des Frühjahrs war die begeistert aufgenommene Vorlesung Erik Lindmans zum Thema »Der Marxismus als Wissenschaft und der schwedische Weg zum Sozialismus«. Wir konnten feststellen, dass dieses Thema eine rekordverdächtig große Zuhörerschar anlockte, die den Vortragenden mit donnerndem Applaus belohnte. Der Abend wurde durch einen etwas unterhaltsameren Vortrag über den »Jazz im sozialistischen Europa« unseres wie immer energischen Carl Wijkman abgerundet, der im Übrigen für noch bessere Stimmung sorgte, indem er sich selbst auf dem Banjo begleitete.
Aber kein Wort über Albanien, nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass gerade dieses Land Lindmans Interesse geweckt hatte. Natalie seufzte schwer. Im Großen und Ganzen war es ein ziemlich vergeudeter Nachmittag gewesen.
Um sich selbst ein wenig aufzuheitern, griff sie erneut nach den Kopien, auf deren oberen Rand sie »T!« geschrieben hatte. Die Artikel selbst waren nichts Besonderes. Es handelte sich fast ausschließlich um prätentiöse und ausgesprochen dogmatische Betrachtungen über Kunst. In einem Text ging es um Neuigkeiten aus der Ortsgruppe Lund, aber es war auch ein Artikel über die Notwendigkeit einer Verstaatlichung des Immobilienbestands darunter, den Natalie besonders amüsant und vor allem verwendbar fand. Die Artikel waren mit einem Namen unterzeichnet, der ihr die Möglichkeit bot, Rydmans Verbot zu umgehen.
Ein Bibliothekar kam vorbei und schlug einen Gong. Natalie stellte fest, dass es schon kurz vor acht war. Sie zog die Papierstreifen aus den Büchern, auf denen sie notiert hatte, worum es im jeweiligen Artikel ging. Nachdem sie pflichtschuldig, aber vergeblich nach einem Papierkorb Ausschau gehalten hatte, schob sie die Papierstreifen vor sich auf dem Tisch zusammen und ging.
Von der Empore des Lesesaals bewegte sich eine schattenhafte Gestalt lautlos die Treppe herab. Wäre der Besucher wider Erwarten jemandem aufgefallen, wäre derjenige vermutlich zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine ausgesprochen pedantische Person handeln musste, die geradezu akribisch die Regeln der Bibliothek befolgte. Wer sonst würde an einem Leseplatz vorbeigehen und sorgfältig die liegen gebliebenen Papierstreifen einsammeln und studieren, um sie sich schließlich in die Tasche zu stecken?
29 Meijtens radelte mit hoher Geschwindigkeit die Åsögatan im Stadtteil Södermalm hinab. Es war dunkel und ruhig. In den Fenstern der Häuser sah er Familien beim Abendessen und flimmernde Fernsehapparate, aber auf der Straße bewegte sich kein Mensch. Er war lange im Büro geblieben und hatte die zahlreichen kleinen Aufgaben erledigt, die ihm der stellvertretende Chefredakteur übertragen hatte, aber seine Gedanken hatten dabei ununterbrochen um den Umschlag gekreist, der in seiner Satteltasche lag. Natalie war den ganzen Tag nicht in der Redaktion aufgetaucht, weil sie irgendeiner Sache nachgehen wollte.
In seiner kleinen Wohnung angekommen, legte er den Umschlag auf den Tisch und
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