Ein Freund aus alten Tagen
lugte auf die Straße hinunter. Als Rooth auf den Bürgersteig hinaustrat, blieb er stehen, als wäre er ratlos und wüsste nicht recht, in welche Richtung er gehen sollte. Im Hauseingang gegenüber stand immer noch dieser Mann. Es war bestimmt wieder einer von ihnen, aber was wollten diese Leute von ihr? Entsetzt musste sie feststellen, dass Rooth immer noch vor ihrem Haus stand.
»Nun geh schon, Mensch. Steh da nicht herum«, zischte sie vor sich hin.
Der Mann im Hauseingang schien Rooth entdeckt zu haben. Er zog eine Zeitung heraus, und zu ihrer Verzweiflung sah sie, wie Rooth seinen Hut zog und zu ihr hochblickte. Sie versuchte, sich hinter der Gardine zu verstecken, aber es war bereits zu spät. Er winkte ihr mit großen, rudernden Bewegungen zu.
Sie ließ die Gardine los, als hätte sie sich an ihr verbrannt. Durch den schmalen Spalt sah sie, wie Rooth ein Taxi anhielt.
Dann ließ sie sich in den Sessel fallen, nahm die 7Plus vom Zeitungsstapel und blätterte zum Impressum. Sie unterstrich die beiden Namen, bevor sie die Zeitung wieder auf den Couchtisch legte. Das musste noch warten, sie würde sich die Sache gut überlegen.
Natalie legte den letzten der drei roten Bände zur Seite und fegte den Staub vom Tisch. Draußen war es dunkel, und es hielten sich nur noch wenige Besucher im Lesesaal der Königlichen Bibliothek auf. Sie legte die Hände in den Nacken, streckte sich und drückte den Rücken durch.
Ein Blick auf die Uhr an der Wand ließ sie aufschrecken. Fast fünf Stunden hatte sie in der Bibliothek verbracht. Das Ergebnis ihrer Mühen lag ausgebreitet vor ihr: Kopien von ausgewählten Artikeln und Meldungen aus der Zeitschrift Veritas der Jahre 1959 bis 1963. Sie begann, die Kopien in chronologischer Reihenfolge durchzugehen. Es waren keine revolutionären Brandreden, wie sie insgeheim gehofft hatte, eher biedere und etwas phantasielose Artikel. Politische Kommentare über unterschiedlichste Themen von der Berliner Mauer bis zur schwedischen Bildungspolitik wechselten sich mit Rezensionen von Büchern und Kunstausstellungen ab. Dazwischen standen Annoncen für Reisen in die Ostblockstaaten und Anzeigen für Zeitungen wie Nachrichten aus der Sowjetunion .
Aber nichts über den Friedenskongress in Bukarest. Weder Artikel noch Referate, er wurde nicht einmal erwähnt.
Sie las einige Zeilen aus der dritten Ausgabe des Jahrgangs 1959.
Bericht aus der Ortsgruppe Uppsala
Am Donnerstag, den 24. September, veranstaltete Veritas einen Empfang für Studienanfänger. Johan Rooth hielt vor einem andächtig lauschenden Auditorium aus frischgebackenen Studenten und Veritas-Anhängern einen Vortrag über Indochina. Mehrere neue Mitglieder konnten gewonnen werden, die sich enthusiastisch an der nachfolgenden Debatte beteiligten.
Die enthusiastischen neuen Mitglieder schienen sich rasch zurechtgefunden zu haben. Nur drei Ausgaben später wurde berichtet, dass man in Uppsala einen neuen Vorstand gewählt habe: Vorsitzender wurde stud. phil. Erik Lindman, Schriftführerin stud. jur. Sonia Terselius und Schatzmeister stud. phil. Carl Wijkman. Diese Posten tauschten sie in den folgenden vier Jahren untereinander. Die neuen Vorstandsmitglieder der Ortsgruppe Uppsala beteiligten sich mit Artikeln, Kritiken und Nachrichtennotizen auch aktiv an der Zeitschrift.
Carl Wijkman zeichnete sich durch ein hingebungsvolles, aber rastloses Engagement in wechselnden Bereichen aus. Im ersten Jahr verfasste er mehrere Augenzeugenberichte über das brutale Vorgehen der französischen Polizei gegen algerische Demonstranten, um sich anschließend in die amerikanische Politik zu stürzen. Natalie nahm an, dass mehrere dieser Artikel während der Besuche bei seinem Vater in den Botschafterresidenzen in Paris und Washington entstanden waren. Wijkman war ein spöttischer Polemiker, und sie entsann sich seines ironischen Lächelns im Café des Nationalmuseums, als sie seinen Beitrag las.
Die Befreiung Algeriens hat in Frankreich eindeutig faschistische Gegenbewegungen hervorgebracht, die mit Terror- und Gewaltakten gegen einzelne Algerier drohen. Die schwedische Regierung hat sich deshalb allerdings nicht zu einer Stellungnahme bemüßigt gefühlt. In dieser Frage, genau wie im Falle der amerikanischen Aggression gegen Kuba, bilden die schwedischen Minister stattdessen den getreuen, wenngleich unsauber singenden Kirchenchor der reaktionären Konterrevolution.
Sonia Terselius’ Beiträge waren wesentlich dogmatischer. Meistens
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