Ein Freund aus alten Tagen
Eine bunte Publikation der, gelinde gesagt, seichtesten Art, die sich auf Kriminalfälle und die weniger appetitlichen Geheimnisse von Prominenten spezialisiert hatte.
»Dieses Magazin war einfach grauenvoll«, fasste sie nüchtern zusammen.
Die Information, dass es im Außenministerium einen Spion gab, tauchte seltsamerweise als Erstes in einer Klatschspalte auf. Aber die Schwedenrundschau konnte ihren Lesern sensationellere Neuigkeiten mitteilen: Der Staatsschutz habe bereits einen Verdächtigen im Visier, der aus der schwedischen Botschaft in Moskau zu Gesprächen nach Stockholm zurückbeordert worden sei. Und nicht nur das, der Zeitschrift lägen zudem Informationen über das Motiv vor, es gehe um Erpressung aufgrund von Homosexualität. Der verdächtige Diplomat sollte während seiner Schulzeit in einem bekannten Internat ein Verhältnis mit einem anderen Jungen gehabt haben.
Sie legte den Kopf schief. »Diese alten Schulen, in die man die Jungen in diesem Alter zusammen einsperrte. Was haben sie denn eigentlich erwartet?«
Meijtens merkte, dass Natalie genauso überrascht war wie er selbst. Auch Frieda Stiernspetz war dies nicht entgangen.
»Ach, Liebchen, ich habe schlimmere Dinge erlebt als zwei Jungen, die sich Gesellschaft leisten. Ich weiß, wozu Einsamkeit und Verzweiflung einen Menschen treiben können.«
Sie fuhr mit trauriger Stimme fort: »Es war nicht weiter schwierig, Henric anhand der Zeitungsartikel zu identifizieren – Angestellter an der Botschaft, der Verweis auf seine alte Schule, das Alter. Ihm war klar, dass schon bald jeder davon wissen würde.«
»Aber es entsprach nicht der Wahrheit?«, warf Meijtens ein.
Sie musterte ihn. »Welche der Behauptungen, mein Freund?« Frieda Stiernspetz sprach weiter, ohne seine Antwort abzuwarten. »Henric war selbstverständlich kein Spion, dieser Vorwurf war abwegig. Aber das eigentlich Merkwürdige war, dass dies bis zu dem Tag, an dem diese unglückselige … Geschichte gedruckt wurde, auch niemand behauptet hatte. Der Staatsschutz hatte Henrics Version, seine Einschätzung hören wollen. Er schien nie zu den Verdächtigen zu gehören.«
Sie zog die Strickjacke enger um sich.
»Aber es war nicht der Vorwurf der Spionage, der ihn zu seiner Verzweiflungstat trieb. Er wusste, dass er sich verteidigen und seine Unschuld beweisen können würde. Es war das andere.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es war die Scham darüber, gegen die Konventionen verstoßen zu haben, die so tief in ihm verwurzelt waren. Sein ganzes Leben hatte er im Schatten seiner Mutter geführt und alles getan, um ihre Anerkennung zu gewinnen. Ich hatte immer den Verdacht, dass er Diplomat geworden war, um sich ihrem kritischen Blick entziehen zu können. Der Staatsschutz ließ es damals nicht zu, dass ich den Abschiedsbrief behielt, den er mir hinterlassen hatte. Ich übergab ihnen das Schreiben gegen das Versprechen, es zurückzubekommen, sobald die Ermittlungen abgeschlossen wären, aber zwei Monate und mehrere Mahnungen später teilte man mir mit, dass dies leider nicht möglich sei. ›Mit Rücksicht auf die Sicherheit des Landes‹. Aber ich erinnere mich auch so an jedes Wort.«
Er hatte ihr seine Liebe beteuert, sie habe seinem Leben einen Sinn gegeben. Auf die Spionagevorwürfe war er kaum eingegangen. Sie schloss die Augen, um sich des exakten Wortlauts zu entsinnen.
»Die absurden Vorwürfe zu meinem angeblichen Verrat, die in dem Artikel erwähnt werden, dürften natürlich schon bald als falsch zurückgewiesen werden und sollten folglich keinen Schatten auf dein künftiges Leben werfen.«
Langsam öffnete sie die Augen. »Das war alles. In seinen Augen war diese Sache es nicht einmal wert, dass man näher auf sie einging. Das andere war in seinen Augen weitaus schlimmer. Er schrieb, die mit den Vorwürfen verbundene Aufmerksamkeit werde unausweichlich Indiskretionen aus seiner Jugend ans Licht befördern. Er bat mich um Verzeihung, was er nun wirklich nicht tun musste, und schrieb, so etwas werde in unseren Kreisen niemals akzeptiert werden – erst recht nicht in seiner Familie.«
Ihr Kopf zitterte, und sie schloss sekundenlang die Augen, aber als sie weitersprach, hatte sie ihre Stimme wieder im Griff.
»Mein armer Henric. Nun begriff ich, warum er so viel Verständnis für Geschehnisse in meiner Vergangenheit aufgebracht hatte, vielleicht hatte es ihn sogar getröstet, dass auch ich nicht immer perfekt gewesen war. Was die Spionagevorwürfe in dem Artikel
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