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Ein Freund aus alten Tagen

Ein Freund aus alten Tagen

Titel: Ein Freund aus alten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magnus Montelius
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fröstelnd auf der Straße standen, sah Natalie ihn nachdenklich an.
    »Meijtens, diese Story, an der wir arbeiten. Unser Duett, wenn du so willst.« Sie suchte nach der richtigen Formulierung. »Diesmal wirst du verdammt noch mal bis zum letzten Akkord durchspielen.«
    Als er nach Hause kam, blinkte sein Anrufbeantworter und zeigte zwei neue Nachrichten an. Die erste kam von Hanna. »Wir müssen reden«, sagte sie, »uns über alles aussprechen.« Etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen, und er legte die Hand auf den Hörer, um sie anzurufen.
    Dann hörte er die zweite Nachricht ab und erkannte augenblicklich, dass sich durch sie alles ändern und sich ein Neuanfang abzeichnen würde, denn Rydmans Verbot konnte unmöglich für Menschen gelten, die ausdrücklich darum baten, interviewt zu werden. Er vergaß Hanna und rief stattdessen Natalie an.

33 Meijtens überließ Natalie die einleitenden Fragen und schaute sich in dem riesigen Zimmer um. Es waren nicht die antiken Möbel oder Kunstwerke, die sein Interesse weckten, sondern einige Porzellanfiguren auf dem Kaminsims. Sie stellten eine Gruppe von Musikanten dar und waren auffallend ramponiert. Er begegnete dem Blick der alten Dame, und sie lächelten beide.
    »Als Sie uns anriefen …«, begann Natalie und ließ den Satz in einer unausgesprochenen Frage offen.
    Frieda Stiernspetz stellte behutsam ihre Teetasse ab, als wollte sie die leiseste Andeutung eines Klirrens vermeiden.
    »Als ich Ihre Artikel über den verunglückten Mann las, war ich mir fast sicher, dass Sie mich anrufen würden.«
    »Und warum?«, fragte Natalie.
    »Weil Sie geschrieben haben, dass man Erik Lindman möglicherweise zu Unrecht der Spionage beschuldigt hat.«
    Die alte Dame schien zu erwarten, dass sie begriffen, was sie meinte, um anschließend selbst die Lücken auszufüllen und die Fragen zu stellen, die sie ihrer Meinung nach stellen sollten. Aber Natalie entschied sich dafür, stumm zu bleiben, und Meijtens verließ sich ganz auf ihren Instinkt.
    »Es erschien mir sehr naheliegend, danach auch über andere Fälle zu schreiben, in denen sich der Staatsschutz geirrt hat.« Frieda Stiernspetz’ Stimme klang auf einmal trotzig.
    »Wenn wir es richtig sehen, ist der Staatsschutz nicht nur von Erik Lindmans Schuld, sondern auch von der Ihres Mannes überzeugt«, sagte Meijtens.
    Frieda Stiernspetz murmelte leise ein paar Worte auf Deutsch und sprach dann mit lauter Stimme weiter: »Diese Gestalten könnten doch nicht einmal ein gestohlenes Fahrrad finden. Die ganze Sache war so unglaublich dumm.«
    Sie saß kerzengerade in ihrem Sessel. Es hatte ganz offensichtlich keinen Sinn zu versuchen, das Gespräch mit Fragen zu lenken, denn Frieda Stiernspetz war in einem Alter, in dem das Einzige, was man ihr schenken konnte, Zeit war, und sie hatte die Absicht, ihre Geschichte auf ihre Art zu erzählen.
    Sie war als Frieda Hauptmann in einer Stadt geboren worden, die damals Breslau hieß. Als die Front näher kam, floh sie nach Berlin.
    »Wir wurden in ein Lager für Menschen gebracht, für die kein Platz mehr war, als die Landkarte Europas neu gezeichnet wurde. Displaced persons nannte man uns, und es gibt keinen Begriff, den ich mehr verabscheue.«
    Sie versuchte, vom einen Tag zum nächsten zu überleben. Am Ende gab sie auf und verkaufte das Einzige, was sie noch besaß, einige Ziergegenstände, die sie aus ihrem ausgebombten Zuhause gerettet hatte. Ein britischer Soldat gab ihr dafür ein paar Armeedollar, mit denen sie sich einen Laib Brot kaufte, vor das Lager setzte und weinte.
    »Dann stand er auf einmal vor mir. Als Erstes kam mir in den Sinn, dass er keine Uniform trug, aber viel zu unbeschadet und gut gekleidet aussah, um ein Deutscher zu sein. Um den Arm trug er eine Binde des Roten Kreuzes.«
    Im Gegensatz zu den alliierten Offizieren, die das Lager gelegentlich inspizierten, sprach er fast perfekt Deutsch und hatte nur einen leichten Akzent, der ihr sofort gefiel, auch wenn sie ihn nicht einordnen konnte.
    »Das war Henric Stiernspetz?«, fragte Natalie.
    Sie nickte. »Er war im Auftrag des Roten Kreuzes dort.«
    Etwas in seiner freundlichen Art ließ ihre Verteidigungswälle einstürzen. Während ihrer unzusammenhängenden Erzählung sagte er nicht viel, holte nur etwas sauberes Wasser und eine Konservendose. Hinterher meinte er, dass er wieder nach ihr sehen werde. Das glaubte sie ihm nicht, aber drei Tage später stand er tatsächlich wieder vor dem Lager und fragte nach ihr.

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