Ein Freund aus alten Tagen
hatte. Natalie hörte ihm gespannt zu. Als Meijtens zum Ende kam, dauerte es eine Weile, bis sie etwas sagte.
»Ich frage mich nur, warum.«
Meijtens beschloss, die Frage im Raum stehen zu lassen.
»Was ich meine, ist: Warum kommst du damit zu mir?« Sie klang ungeduldig.
»Ich glaube, es könnte mehr dahinterstecken.«
Natalie lehnte sich zurück. »Also, wenn ich ehrlich sein soll, sehe ich da keinen Aufhänger für einen Artikel.«
Sie drehte sich um, aber Meijtens blieb stehen. Er hatte einen aufschlussreichen Abend im Zeitungsarchiv verbracht und sich über etwas ganz anderes schlaugemacht, einen Skandal in der Fernsehanstalt, der allmählich in Vergessenheit geriet. Es war spekuliert worden, dass aus dem Nähkästchen plaudernde Polizisten der jungen und vielversprechenden Moderatorin ein Bein gestellt hatten. Eine Rache für eine ihrer früheren Reportagen, hieß es.
Das war sein letzter Trumpf.
»Es gibt da noch einen Aspekt. Ich habe eine Quelle, die direkten Zugriff auf die Ermittlungen hat.«
Er gab Listons Informationen im Großen und Ganzen korrekt wieder, aber unter Wahrung des Quellenschutzes bekam sein alter Freund aus Kindertagen völlig neue Eigenschaften. Er mutierte zu einem Beamten, der einen größeren Zusammenhang erahnte, aber zu viel Angst hatte, um zu reden, dessen Beobachtungen ignoriert wurden, weshalb er argwöhnisch über die Schulter blickte. Meijtens vermied es tunlichst zu erwähnen, dass Liston schon immer Angst gehabt hatte, zu viel zu sagen, und bereits in der Vorschule besorgte Blicke über seine Schulter geworfen hatte. Darüber hinaus kam Meijtens auf Tilas’ seltsame Launenhaftigkeit zurück.
»Es kommt einem fast so vor, als wollte die Polizei etwas vertuschen. Ich frage mich ernsthaft, ob sie nicht Mist gebaut haben.«
Es zuckte in Natalies Mundwinkel. War er zu weit gegangen?
Bertil Andersson verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte gereizt. »Ich sehe da immer noch keine Story!«
Natalie wirkte ungerührt. »Gib uns einen einzigen Tag, Bertil. Wenn wir nichts finden, lassen wir die Sache fallen.«
Der stellvertretende Chefredakteur klopfte mit dem Stift auf den Tisch und runzelte die Stirn. Ab und zu warf er Meijtens, der im Türrahmen stand, wütende Blicke zu.
»Ich verlange volle Konzentration auf die Sonderausgabe. Und auf Die vergangene Woche .«
Noch ein Blick in Richtung Meijtens.
»Aber die Geschichte passt doch ganz hervorragend in die Thematik der Sonderausgabe«, meinte Natalie.
»Und wie, verdammt noch mal?«
»Ein menschliches Schicksal im neuen Europa, der staatenlose Mann, von dem keiner etwas wissen will.«
Bertil Andersson ließ ein röchelndes Lachen hören.
»Das zartfühlende Porträt eines hilflosen Menschen, gezeichnet von den allseits bekannten Humanisten Meijtens und Petrini.«
Natalie und Meijtens schwiegen, während Bertil Andersson ärgerlich herumrutschte, als säße er auf einem unbequemen Stuhl.
»Was habt ihr vor?«
»Wir wollen versuchen herauszufinden, ob er eine Verbindung zu Schweden hatte. Ich werde das Verzeichnis akkreditierter Diplomaten durchgehen, und Meijtens wird zu früheren linken Splittergruppen recherchieren.«
Diesmal war der Blick, den Andersson Meijtens zuwarf, regelrecht feindselig. »Ich gebe euch den restlichen Tag, damit ich mir nicht noch mehr von diesem Mist anhören muss.«
Als sie aus Bertil Anderssons Büro kamen, gab Meijtens Natalie eine Kopie von Aron Bektashis Pass. Sie zog ihren Mantel an.
»Ach übrigens, dein Penner. Leute, die oft mit den Sozialbehörden zu tun haben, antworten immer mit Vor- und Nachnamen, wenn sie nach ihrem Namen gefragt werden. Aus alter Gewohnheit. Wusstest du das?«
Das wusste Meijtens nicht.
»Es ist also gut möglich, dass er tatsächlich so heißt. Vorname: Sven. Nachname: Emanuel. Kapiert?«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging. Als er sicher war, dass sie ihn nicht mehr hören konnte, fluchte Meijtens leise vor sich hin.
Natalie schob die letzte Akte zur Seite und lockerte ihre Schultern mit kreisenden Bewegungen. Die Leseplätze des Landesarchivs waren alles andere als bequem, und sie hatte mehrere Stunden dort verbracht.
Es war reine Zeitverschwendung gewesen. In den knapp zwanzig Jahren, in denen Albanien eine kleine diplomatische Vertretung in Stockholm unterhalten hatte, waren gut dreißig Diplomaten akkreditiert gewesen. Keiner von ihnen hieß Aron Bektashi, und keiner hatte auf den Fotos in den Dossiers auch nur die geringste
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