Ein Freund aus alten Tagen
Ahnung, wo er sich aufhalten könnte.
Sein Pass fehlte, und später fand man heraus, dass er das Land mit einem Zug nach München verlassen hatte, wo sich seine Spur allerdings verlor. Die ganze Geschichte hätte banal erscheinen können, wenn es nicht um Erik Lindman gegangen wäre. Zum Zeitpunkt seines Verschwindens arbeitete er als Zeitungsbote, aber das war eine relativ frische Erwerbsquelle gewesen.
Geboren wurde er 1938 in Sandviken in einer Arbeiterfamilie, das Gymnasium schloss er mit Bestnoten ab, und anschließend ging er nach Uppsala, um dort zu studieren. Er galt als ungewöhnlich talentiert mit einer bemerkenswerten Sprachbegabung. Innerhalb von vier Jahren machte er zwei Abschlüsse, einen in Volkswirtschaftslehre und Staatswissenschaft sowie einen in Modernen Sprachen. Auch die absolvierte er mit besten Noten.
Diese Leistung erschien umso bemerkenswerter, wenn man sich Erik Lindmans sonstige Aktivitäten während seiner Studienzeit ansah. Seit seiner Jugend war er überzeugter Kommunist, und in Uppsala engagierte er sich bereits in seinem ersten Semester in der Studentenvereinigung Veritas. Er wurde allgemein als umgänglich, treu und als ein brillanter Redner beschrieben. In Anbetracht seiner exzellenten Studienergebnisse war es nicht weiter verwunderlich, dass er nach seinem Examen beim Außenministerium zur Ausbildung für den diplomatischen Dienst angenommen wurde, und aus irgendeinem Grund bildeten seine politischen Überzeugungen dafür keinen Hinderungsgrund. Vielleicht übersah man sie bei seiner Überprüfung, weil er niemals Parteimitglied gewesen war, oder man war einfach überwältigt von der Tatsache, dass er seiner Bewerbung Empfehlungsschreiben von nicht weniger als vier Professoren in Uppsala beilegen konnte, die Erik Lindman unisono in den höchsten Tönen lobten. Erstaunlich war dagegen, dass er das Außenministerium kurz nach dem Ende seiner Ausbildung wieder verließ. In der Folge arbeitete er als Zeitungsbote und engagierte sich manchen Informationen zufolge weiter politisch. Ein Jahr später verschwand er.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass damals von Albanien die Rede war«, unterbrach Bertil Andersson ihn ungeduldig.
»Nein, und genau das ist das eigentlich Bemerkenswerte«, erläuterte Meijtens und blätterte in seiner Zusammenfassung.
Die Zeitungsmeldungen waren anfangs kurz und zurückhaltend gewesen und hatten den Fall wie eine ganz gewöhnliche Vermisstenanzeige behandelt, aber schon bald wurden die Schlagzeilen größer. Gewissen Quellen innerhalb des Staatsschutzes zufolge stand Erik Lindman im Verdacht, sich nach Moskau abgesetzt zu haben. Anderen Sicherheitsdiensten lagen Informationen vor, dass der KGB unter linksgerichteten Studenten im Westen Spione angeworben habe. Ein Überläufer in Holland behauptete, ein schwedischer Student sei von den Sowjets angeworben worden, um Karriere im Staatsdienst zu machen.
Der schwedische Staatsschutz verdächtigte Erik Lindman, diese Person zu sein. Mancherorts hieß es, Erik Lindman sei von München aus mit dem Zug nach Griechenland weitergereist, und es wurde spekuliert, ob er von dort über die Türkei in die Sowjetunion gelangt sei. Die Vermutung, dass er sich jenseits des Eisernen Vorhangs aufhalte, wurde allerdings nie bestätigt, und so verebbten die Spekulationen in der Presse.
1973 bekam das Thema jedoch neue Aktualität. Ein übergelaufener KGB-Agent namens Sorokin versorgte seine neuen kanadischen Gastgeber mit einer Menge Informationen über Agenten, die der KGB in Westeuropa platziert hatte. Zwei davon waren schwedische Spione. Sorokin verfügte auch über weitere Angaben zu jenem Agenten, der seinerzeit als Student angeworben worden war. Auf der Basis der laut schwedischem Staatsschutz »gewissen neuen Informationen zur Ausbildung sowie zum Zeitpunkt und zum Ort der Rekrutierung« erhärtete sich die Vermutung, dass diese Person Erik Lindman war.
»Und der zweite Agent, wer war das?«, fragte Natalie.
»Er konnte ziemlich schnell als der Erste Botschaftsrat an der schwedischen Botschaft in Moskau identifiziert werden. Von der Geschichte hast du bestimmt schon mal gelesen. Er wurde zu diskreten Gesprächen in seine Heimat gerufen, doch in der Presse tauchten schon bald Geschichten über homosexuelle Beziehungen in seiner Jugend und Andeutungen über Spionage auf. Man fand ihn tot in seiner Badewanne, Selbstmord.«
»Die Stiernspetzaffäre«, murmelte Bertil Andersson.
Natalie sah Meijtens fragend an. »Und
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