Ein Freund aus alten Tagen
aufgewachsen?«
»Sie haben richtig gelesen.«
»Und dann haben Sie zusammen in Uppsala studiert?«
Åke Sundström bejahte dies mit einem Kopfnicken.
»Als roten Faden für unseren Artikel stelle ich mir dir Frage vor, warum manche Menschen beschließen, sich abzusetzen, und gerade in dem Punkt scheint Erik Lindman ein interessanter Fall zu sein.«
»Aha, das finden Sie also«, erwiderte Åke Sundström, und Meijtens wusste nicht recht, ob das spöttisch gemeint war oder ob Sundström einfach nur wortkarg war.
»Uns interessiert Ihre Meinung zu Erik Lindman. Glauben Sie wirklich, dass er in einen Ostblockstaat gegangen ist, ohne jemandem Bescheid zu sagen? So wurde es jedenfalls in der Presse dargestellt.«
»Was glauben Sie selbst?«, entgegnete Åke Sundström. »Immerhin ist es Ihr Artikel.«
Es war ein wenig, als balancierten sie auf einem schmalen Grat, die geringste Bewegung konnte sie zu Fall bringen. Meijtens hielt sich bewusst zurück. Er wartete ab, ob Åke Sundström noch etwas sagen würde. Als ihm nichts als nordschwedischer Trotz entgegenschlug, beschloss er, seine nächste Karte auszuspielen.
»Ich glaube nicht, dass er für den KGB gearbeitet hat, und ich glaube auch nicht, dass er in die Sowjetunion gereist ist. Im Gegensatz zu dem, was in der Presse stand, halte ich dieses Szenario für eher unwahrscheinlich.«
Åke Sundström musterte ihn wortlos. Nicht erstaunt, nicht überrascht, nur nachdenklich.
»Wissen Sie, ich gehe immer zu Fuß nach Hause«, platzte er auf einmal heraus. »Soll für Männer in meinem Alter gesund sein. Wenn Sie mir weiter Fragen über Erik stellen wollen, werden Sie mich schon nach Tallkrogen begleiten müssen.«
Sie nahmen Nebenstraßen und Fußwege, und Meijtens überlegte, dass es bis Tallkrogen ziemlich weit war und er folglich genügend Zeit haben würde, um eine ganze Reihe von Fragen zu stellen. Als sie ein Stück gegangen waren und über Fußballtraining und die äußerst bescheidene Leistung der schwedischen Nationalmannschaft bei der WM in Italien geplaudert hatten, ging Åke Sundström unaufgefordert dazu über, von Erik Lindman zu erzählen. Durch die Bewegung schien seine bisherige Schroffheit von ihm abzufallen.
Erik war natürlich das größte Talent der Schule gewesen, und dank seiner Überredungskünste und Hilfe hatte auch der, wie er selbst behauptete, gedanklich langsamere und höchst durchschnittlich begabte Åke Abitur gemacht. Im Herbst 1959 war er wie Erik bereit für den großen Schritt und begann als Erster in seiner Familie ein Studium.
Die kommunistischen Überzeugungen seines Freundes hatte Åke allerdings nie geteilt. In einem nordschwedischen Industriestädtchen wie Sandviken war der Graben zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten abgrundtief, nach jahrelangem Streit standen sich die beiden Lager sehr misstrauisch gegenüber. Åke und seine Familie waren Sozialdemokraten, und man wechselte nicht einfach ins andere politische Lager, wie überzeugend der beste Freund auch sein mochte. Eriks Vater wiederum war der in Sandviken berüchtigte Kommunist Arvid Lindman.
Åke Sundström blieb stehen und sah Meijtens grinsend an. »Es muss den alten Knacker gequält haben, den gleichen Namen zu haben wie der frühere Parteivorsitzende der Konservativen. Wenn ihm das überhaupt bewusst war. Ich weiß nicht, woher Erik seine Begabung hatte, aber von seinem verrückten Alten mit Sicherheit nicht.«
Sie gingen weiter, und Åke Sundström fuhr mit seiner Erzählung fort.
In Uppsala waren sie getrennte Wege gegangen. Åke hatte es durch harte Arbeit zu einem Staatsexamen gebracht, das ihm eine sichere Laufbahn als Lehrer bescherte, er hatte in einer Mannschaft aus nordschwedischen Studenten Fußball gespielt und bereits im zweiten Semester das Mädchen kennengelernt, das heute seine Frau war. Erik hatte sich dagegen schon in seiner ersten Woche in Uppsala von seinem neuen Leben mitreißen lassen. Rasch wurde er zur tonangebenden Kraft und zum Motor einer Gruppe kommunistisch orientierter Studenten und umgab sich mit einem Hofstaat aus Freunden, die ihn bewunderten.
All das ereignete sich Jahre vor der großen Studentenrevolte und den Achtundsechzigern. Die studentische Linke hatte zwar einen gewissen Zulauf, stellte aber keineswegs die Mehrheit. Vietnam war damals eine relativ unbekannte ehemalige französische Kolonie. Die Studenten, die zu jener Zeit aktive Kommunisten waren, sahen sich eher als eine Vorhut und weniger als Teil eines
Weitere Kostenlose Bücher