Ein Freund aus alten Tagen
Karriere, aber ich bilde mir ein, dass Sonia Terselius höhere Ambitionen hatte.«
Natalie steckte eine Hand in die Tasche, ohne den Blick vom Verkehr abzuwenden, und zog ein Paket Kaugummis heraus. Sie hielt es Meijtens hin und nahm sich dann selbst einen.
»Während du in Belgrad warst, habe ich ein bisschen zu unserer Freundin recherchiert. Nach ihrem Referendariat hat sie eine konventionelle juristische Karriere eingeschlagen, vermutlich mit dem Ziel, Richterin zu werden. Aber genau wie Wijkman und ungefähr zur selben Zeit wie er wurde sie als politische Beamtin angeworben und ging ins Justizministerium. Dort machte sie eine steile Karriere. Alle, die jemals mit ihr zusammengearbeitet haben, heben sie in den Himmel. Anfang der Siebzigerjahre gehörte sie zu den Architekten der damals verabschiedeten Flut neuer Gesetze und setzte sich für eine veränderte Sicht auf den Strafvollzug ein. Nach ein paar Jahren ist sie ans Gericht zurückgekehrt und hat seitdem sowohl für sozialdemokratische als auch für bürgerliche Regierungen in wichtigen Enquetekommissionen gesessen.«
»Und du meinst, Oberlandesgerichtsrätin ist ihr nicht fein genug?«
»Sonia Terselius ist ein ungewöhnlicher Fall, weil sie alle formalen juristischen Meriten mitbringt und zugleich über ein großes Kontaktnetz in der sozialdemokratischen Partei verfügt. Deshalb ist es im Grunde erstaunlich, dass sie keinen Spitzenposten in einem Ministerium oder in der Regierungskanzlei innehat. Einer von den Leuten, mit denen ich gesprochen habe, glaubt allerdings, dass sie nur auf die passende Gelegenheit für einen richtigen Spitzenposten wartet. Vielleicht als Oberlandesgerichtspräsidentin oder als Richterin am Obersten Gericht.«
»Sie findet es bestimmt ganz toll, dass zwei Journalisten sie zu ihrer revolutionären Jugend befragen wollen«, kommentierte Meijtens.
Natalie grinste, und Meijtens fragte sich, woher sie nur ihre ganzen Quellen nahm.
»Ein paar Jahre nach Erik Lindmans Verschwinden hat sie geheiratet. Irgendeinen Berufspolitiker aus der Regierungskanzlei. Die beiden ließen sich später scheiden, und seither lebt sie allein.«
Sie warf einen Blick auf die Uhr und fuhr nach ein paar Flüchen noch schneller. Von Meijtens wollte sie Details über sein Gespräch mit Dr. Pecanin hören. Als sie die nördliche Stadtgrenze erreichten, begann Natalie, laut darüber nachzudenken, was der schnellste Weg zum Gericht sein könnte.
»Ich habe eine Bitte an dich«, sagte sie mitten in einem gesetzeswidrigen Spurwechsel. »Ich würde gerne das Interview mit Terselius übernehmen.«
»Aber dann kann ich doch genauso gut Pecanins Informationen durchgehen. Wenn du mich hier an der Ecke rauslässt, kann ich …«
Natalie machte eine abwehrende Handbewegung.
»Du musst dabei sein, es war eine Bedingung dafür, dass wir sie treffen dürfen. Ich erkläre es dir später. Aber ich möchte, dass du mich reden lässt, bis ich dir ein Zeichen gebe, okay?«
Er wartete auf eine Erklärung, die jedoch nicht kam, und als das Nachmittagslicht durch die getönte Windschutzscheibe hereinfiel, wirkten ihre Augen noch dunkler als sonst.
»Ich habe vor, mit Sonia Terselius ein ernstes Wörtchen zu reden«, sagte sie.
Sie eilten im Laufschritt über die menschenleere Insel Riddarholmen.
»Weißt du, in welchem dieser Häuser sie sitzt?«, fragte Meijtens und blickte zu den alten Palästen hoch.
Natalie nickte, und ihre Absätze klapperten über das Kopfsteinpflaster. Sie führte Meijtens durch eines der Torgewölbe und über einen Innenhof. Bald nachdem sie sich im Empfang angemeldet hatten, tauchte eine Frau mittleren Alters in einem eleganten Kostüm mit einem ledergebundenen Schreibblock unter dem Arm auf.
»Natalie Petrini? Wir haben telefoniert«, sagte sie, machte aber keine Anstalten, Natalie die Hand zu geben.
Natalie stellte Meijtens vor. Die Assistentin lächelte ihn an, als wollte sie demonstrieren, dass sie auch freundlich sein konnte. Zu den richtigen Personen.
»Oberlandesgerichtsrätin Terselius kann Sie jetzt empfangen, aber ich muss Sie bitten, sich kurz zu fassen. In einer Viertelstunde hat sie bereits den nächsten Termin.« Sie schwieg kurz. »Ich musste dieses Gespräch sehr kurzfristig einschieben.«
Sie ging vor ihnen die Treppe hinauf und anschließend einen Korridor entlang, der zu einer Doppeltür aus Eichenholz führte. Dort klopfte sie vorsichtig an und horchte auf eine Reaktion. Es dauerte fast eine halbe Minute, bis jemand
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