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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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seinen Kopf mit einem Fahrradschloß am besten an Bulldozern, Holz-LKWs und dem Eingangstor des Hauptquartiers der Axxam Corporation in Severed Root, Kentucky, befestigte. Teo rief ein Aktioncamp für Jungdemonstranten ins Leben und dirigierte Protestmärsche zu einem halben Dutzend Sägemühlen an der nördlichen Küste, und Ratchiss blieb zu Hause in Malibu, sah sich Natursendungen im Bildungskanal an und genoß täglich zur Cocktailstunde das Glitzern der Sonne auf dem Meer. Tierwater war mürrisch. Er stöberte alles über Eskimos auf, was er finden konnte, für den Fall, daß er Declan Quinn zufällig in der Lodge bei einem Teller Glibberei mit Fritten begegnete, spielte endlose Karten- und Monopolyrunden mit seiner Tochter und zog mindestens zweimal pro Woche des Nachts als Rächer aus, um den unermüdlichen Ansturm des Fortschritts zurückzuschlagen.
    Mitte Juli, auf den Tag fast ein Jahr nach dem Fiasko im Siskiyou, ruhte sich Tierwater eines Nachmittags auf der hinteren Veranda aus, betrachtete aus dem Nest seiner Hängematte die Wolkenformationen und fühlte sich so recht thoreauisch. Sierra und er waren früh aufgestanden, ein Stück weit gefahren und dann zu Fuß in das Brandgebiet hineingewandert, und er hatte zufrieden registriert, wie viele der hohen Kiefern und Redwoods dem Feuer widerstanden hatten. Sie hatten Wunden, gewiß, waren vom Boden aufwärts wie von mächtigen schwarzen Klauen gezeichnet, aber die Schneefälle des Winters hatten die Asche in den Boden geschwemmt, und überall ragten Schößlinge auf. Noch besser: die »Penny Pines Plantation« war verschwunden, und nirgends kündeten geschnitzte Holzschilder von der Großspurigkeit der Firma Coast Lumber – oder von sonst etwas. Und wo die Bäume für die Sägemühle in ihrer biotechnischen Uniformität gestanden hatten, breiteten sich jetzt Blumenwiesen aus: Sonnenflügel, Arnika, Kreuzkraut, Bergaster und ein Dutzend anderer Spezies, die in ihrem Bestimmungsbuch nicht aufgezeichnet waren. Er pflückte einen Strauß Blumen für Andrea und fühlte sich, als hätte er jede einzeln gepflanzt und gepflegt. So sollte Natur sein.
    Andrea lag noch im Bett, sie schnarchte leise, ihr Haar ergoß sich über das Kissen, der Mund stand etwas offen und ließ das goldene Glitzern eines frisch überkronten Backenzahns oben links sehen. Tierwater hatte sich eine Stunde zuvor ins Zimmer gestohlen, die Vase mit den Blumen auf den Nachttisch gestellt und sich dann auf die Veranda zurückgezogen. Seine Frau war erschöpft. Sie war über eine halbe Woche lang weg gewesen, um Demonstranten aufzuwiegeln und heimlich ihren früheren Zahnarzt zu besuchen, und erst spätabends zurückgekehrt. Tierwater war aufgeblieben, und sie hatten Neuigkeiten ausgetauscht und in dem stillen, friedlichen Obdach der Hütte, die wie ein Schiff in der dunklen See der Nacht dahintrieb, miteinander geschlafen. Jetzt wartete er wieder auf sie. Und betrachtete den Himmel.
    Es war kein gewöhnlicher Himmel – die Wolken breiteten sich in Fetzen und Schleiern darauf aus wie eine Schriftrolle, deren Sprache man allerdings nicht verstand –, aber er schläferte ihn dennoch ein. Als er die Augen aufschlug, war Andrea da, sie saß auf dem Stuhl neben ihm, eine Tasse Kaffee in der Hand. Der Schatten hatte ihn erfaßt. Es mußte drei Uhr nachmittags sein.
    Sie sagte: »Du bist aufgewacht.«
    »Ja«, sagte er. »Anscheinend.«
    Ihr Haar war naß vom Duschen, strähnig und glanzlos, und sie senkte den Kopf, um es zu kämmen. »Ist dieser kleine Schnüffler wieder aufgetaucht, während ich weg war?« Er beobachtete ihre Finger, ihre Hände, die verknoteten Haare. »Du weißt schon, wie heißt er noch – der Säufer?«
    »Quinn?«
    Sie warf den Kopf zurück und fuhr sich mit beiden Händen durch das nasse Haar, schüttelte die Nässe heraus; es war so still, daß er die einzelnen Tröpfchen auf die Plattform aufschlagen hören konnte. »Ich fasse es immer noch nicht, daß du ihm damals am Abend reingelassen hast. Er ist nicht so blöd, wie er aussieht. Und auch nicht so versoffen.«
    »Was hätte ich denn tun sollen?«
    »Ihm sagen, daß du Kopfschmerzen hast. Sodbrennen. Grippe. Oder daß deine Frau schlechte Laune hat und dein Vater gestorben ist. Ihm irgendwas erzählen. Glaubst du, er hätte es auch nur zwei Schritte ins Haus hinein geschafft, wenn ich zu Hause gewesen wäre?«
    Tierwater grinste, aber sie nahm das Angebot nicht an. Wieder beugte sie den Kopf vor, und der Kamm arbeitete

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