Ein Freund der Erde
umfangen. Die Sonne wich aus den Bäumen. »Denk doch mal, Ty«, flüsterte sie, »denk nur, was für ein Statement wir damit abgeben könnten.«
Tierwater hatte Menschenmengen noch nie gemocht. Viele Menschen machten ihn nervös, sie ließen ihn an die Degenerierung des Planeten denken; viele Menschen zeigten ihm den Zustand der Menschheit, und er mochte nicht, was er da sah. Diese Menge, deren momentanes Zentrum der Aufmerksamkeit er, Andrea und Teo waren, bestand aus gut hundert Personen. Eine erkleckliche Zahl von E.F.!-Mitgliedern war angerückt und stach mit ihren roten Baskenmützen und den roten T-Shirts des Clans hervor. Dreißig bis vierzig von ihnen waren in der Menge verteilt wie Mohnblumen in einem Feld. Sie waren unübersehbar. Sie dienten zur moralischen Unterstützung – und sollten Tierwater und Andrea abschirmen, falls irgendwelche Polizisten auftauchten, ob in Uniform oder nicht. Auch das allgemeine Publikum war erschienen, auf Andreas ausdrückliche Einladung – zumeist Journalisten, die sich mit Zweihundert-Dollar-Wanderschuhen, gebügelten Jeans und Spiegelsonnenbrillen in sechzehn verschiedenen Overkill-Farbtönen ausgerüstet hatten, sowie ein Häuflein der Neugierigen, Kurzsichtigen und Gelangweilten. Ringsherum lagen die Berge, falteten sich ineinander wie die Furchen eines Sahnebaisers. Teo hatte seine Rede gehalten, Andrea die ihre. Es blieb nichts mehr übrig, als zur Sache zu kommen.
Tierwater ließ sich auf einen vom Wind geglätteten Felsblock nieder und band seine Schnürsenkel auf; Andrea, die ein karamelfarbenes luftiges Kleid und keine Strümpfe trug, streifte ihre Perlenmokassins ab. Es war windstill, die Sonne stand im Zenit über ihnen und brannte ihm heiß auf Schultern und Nacken. Er sah zu den Bergen hinüber, sein Herz raste, er war jetzt schon verlegen – wie hatte er sich von ihr nur dazu überreden lassen? –, dann hob er den Kopf zu Andrea. Sie musterte die Zuschauer gelassen, nahm mit einem nach dem anderen Blickkontakt auf, kostete den Moment bis zur Neige aus. Tierwater stand unvermittelt auf. Je rascher er es hinter sich brachte, desto besser, überlegte er, also öffnete er den Gürtel, machte den Reißverschluß der Hose auf und zog sie aus, erst ein Bein, dann das andere.
Niemand sprach ein Wort, die Menge hielt den Atem an. Tierwater war gut in Form von den vielen Fußmärschen und seinen nächtlichen Aktionen, eins fünfundachtzig und achtzig Kilo schwer, ein bißchen zu magere Beine vielleicht – und er haßte es, seine Beine öffentlich zu zeigen, ebenso die Füße –, aber alles in allem ein recht präsentables Gegenstück als Adam zu Andreas Eva. Er legte die Hose zusammen und reichte sie an Teo weiter (der übrigens ganz in Weiß gekleidet war, in Ringerhemd, Shorts und Sandalen, wie eine Art Priester der Bewegung). Alles starrte auf ihn, und er tat sein Bestes beim Zurückstarren, doch dann griff Andrea hinter sich nach dem Verschluß ihres Kleides, und die hundert Augenpaare schwenkten zu ihr. Er sah zu, wie sie die Arme anwinkelte, während sie sich den Reißverschluß die Wirbelsäule entlang öffnete, und dann fuhren die großen Hände wieder nach oben und zogen das Kleid über ihren Kopf, dazu ein kurzes Schütteln ihres perfekten Haars, das perfekt fiel. Sie trug karminrote Unterwäsche – die Thema einer heftigen Diskussion beim Frühstück gewesen war: Tierwater vehement dagegen, Teo sehr dafür –, und die Körbchen ihres BHs, knapp oberhalb der Brustwarzen, zeigten die geballte schwarze Faust der Bewegung. Ein Lächeln für die Zuschauer, dann reichte sie Teo ihr Kleid. Tierwater war geschlagen, fühlte sich noch alberner und wütender; er zog das Hemd aus, ließ die Unterhose fallen – seine schlichte weiße Unterhose, drei Dollar neunundneunzig bei J.C. Penney – und stand nackt vor aller Augen.
Na schön. Und jetzt waren sie still, die E.F.!ler, die Zeitungsfritzen, die Vogelkundler und Wohnwagenpiloten allesamt. Das war ein Spektakel. Das war Nacktheit. Und Andrea – Andrea Knowles Cotton Tierwater, die Aufwieglerin von Earth Forever! und Umweltaktivistin auf der Flucht – war als nächste dran. Wieder die angewinkelten Arme, als sie den BH-Verschluß öffnete, wieder die hundert Augenpaare, die Tierwater im Stich ließen, um sich auf seine Frau zu richten. (Komm schon, Ty, hatte sie gesagt, es ist doch nur der menschliche Körper, nichts weiter, kein Grund, sich zu schämen. Du bist schön. Ich bin schön. So wurden wir eben
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